Auf den Spuren der jüdischen Familie Juhl aus Zülpich

von Rafi Juhl (Israel)
vom Englischen ins Deutsche übersetzt von Hans-Dieter Arntz
03.10.2010

Meine Erinnerung beginnt etwa mit dem 6. Lebensjahr. Mein Vater, Fritz Juhl (1913-1995), hatte zwei Brüder (Richard und Walter) und zwei Schwestern Luise und Helena. Sie erzählten mir zwar ein bisschen von ihrer Jugendzeit, aber das ist alles, was ich in Bezug auf Zülpich vor Augen habe.

Mein Großvater (Foto 1), Moritz Juhl (1864-1941), hatte ein großes Textilgeschäft in Zülpich, Münsterstraße 20 (Foto 2). Im Garten gab es einen Kirschbaum, und – ich konnte es bei meinem letzten Besuch kaum glauben -, er steht sogar heute noch. Eines Tages fragte Onkel Walter meinen Vater, ob er einmal wie ein Flugzeug fliegen wolle, und mein Vater stimmte begeistert zu. Walter nahm nun aus dem Textilgeschäft einen Tuchwagen, der dafür da war, die Stoffballen zu transportieren und forderte meinen Vater auf, sich darauf zu stellen. Walter begann, das Gefährt hochzuheben. Plötzlich verlor mein Vater die Balance, stürzte auf den Boden und verletzte sich stark an der Unterlippe. Jahre später, als ich im Alter von zehn war, spielte ich nach der Schule Fußball und hatte danach großen Durst. Deshalb rannte ich zum nächsten Wasserkran, rutschte aus und verletzte mich wie einst mein Vater an derselben Stelle, ebenfalls an der Unterlippe. Künftig – bei wichtigeren Ereignissen - erinnerte ich meinen Vater an unser Pech und bestätigte ihm damit immer, dass ich wirklich in jeder Hinsicht sein Sohn wäre.

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(1)  Moritz Juhl

Mein Vater bestand sein Abitur 1933 am Jungengymnasium in Euskirchen, Billigerstraße (Foto 3). Herr Hans-Dieter Arntz erklärte mir, dass es sich um das heutige Emil-Fischer-Gymnasium handelt, das 1966 in ein größeres Gebäude an der Emil-Fischer-Straße umgezogen ist. Mein Vater wollte das Studium an der Bonner oder Kölner Universität aufnehmen, was aber wegen der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten nicht möglich war. Deshalb entschied sein Vater, Moritz Juhl, der damals auch Synagogenvorsteher in Zülpich war, in weiser Voraussicht, seinen Sohn nach Frankreich zu schicken, um Fremdsprachenkenntnisse zu erwerben.

Mein Vater lebte bereits vier Monate in Tours, als er einen Brief von seinen Eltern erhielt, der ihn über die Absichten von Richard informierte, der unbedingt nach Palästina auswandern wollte. Mein Vater fand diese Idee gut und wollte dasselbe tun. Er kam kurz nach Zülpich zurück, um sich auf seine Auswanderung vorzubereiten. Richard war inzwischen schon in Eretz Israel und wollte seinem Bruder, also meinem Vater, in jeder Hinsicht behilflich sein.

Inzwischen steigerten sich in Deutschland die Diskriminierungen durch die Nationalsozialisten. Das Geschäft meines Großvaters wurde immer mehr boykottiert, und die persönlichen Schikanen gegenüber der Familie Juhl wurden unerträglich. Der Westdeutsche Beobachter stellte sogar unser einst florierendes Geschäft an den Pranger. Kunden und Freunde zogen sich zurück.

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 (2) The textile shop in Zülpich (Münsterstraße 20). Picture: grandfather Moritz Juhl

In dieser Zeit spürten besonders die jungen Juden, dass bald irgendetwas passieren würde. Innenpolitisch wurden alle Minderheiten verfolgt, und außenpolitisch schien vieles auf den Krieg hinzusteuern. Mein Vater erzählte mir später in Israel, dass es in seinen Kreisen einen Witz gab, der einen sehr ernsten Sinn hatte. Die jungen Männer sagten: „Ich werde auf Deinem Grabstein einmeißeln lassen: Er starb, weil alles total normal war.“

Mein Vater begann, sich in Berlin - im Rahmen einer landwirtschaftlichen Ausbildung auf einer Hachschara - auf eine Auswanderung konkret vorzubereiten. Aber die anderen Mitglieder der Familie Juhl wollten vorläufig noch in Zülpich zu bleiben. Als er zum Pessachfest zu seinen Eltern reiste, wurde der Bann gebrochen. Ein Nachbart motivierte ihn insofern, als er sagte: „Warum arbeitest Du hier in Deutschland in der Landwirtschaft? Die können Dich in Palästina doch viel besser gebrauchen, so jung und kräftig wie Du bist.“

Das war der letzte Anstoß. Meinem Vater gelang es auf abenteuerliche Weise, auf ein Schiff nach Haifa zu kommen und auch dort unbeschadet an Land zu gehen. Er blieb dort nur zwei Nächte, um dann ein völlig neues Leben zu beginnen. Er wollte zuerst das ganze Land sehen. Daher wanderte er von Dorf zu Dorf und erklärte den verwunderten Bewohnern: „Ich bin ein neuer Einwanderer und möchte unbedingt Land und Leute kennenlernen. Wenn ich eine Nacht hier bleiben und mit Euch diskutieren kann, dann geht es morgen auch schon wieder weiter.“ Man muss in diesem Zusammenhang bedenken, dass die Transportmöglichkeiten und die Infrastruktur in keiner Hinsicht mit Europa zu vergleichen waren.

Danach ließ er sich in Parades Hanna (Foto 4) nieder, wo er seinem Bruder Richard half, ein Haus zu bauen. Übersetzt besagt der Name: „Ort, wo man Orangen anbauen kann.“ Für Richard bedeutete Landwirtschaft alles. Er betätigte sich auf diesem Gebiet sein ganzes Leben lang. Mein Vater versuchte es ihm gleichzutun und setzte seine in Berlin begonnene Ausbildung in Mikve Israel, einer Landwirtschaftsschule, fort. Aber die Anforderungen in diesem heißen Land waren zu hart für ihn, so dass er eine Banklehre machte und in diesem Business 45 Jahre lang tätig war (Foto 5).

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 (3) My father's graduation at his high school (JUNGEN-OBERSCHULE in Euskirchen)

Um mich nun der Vergangenheit und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zuzuwenden, muss ich meinen Großvater Moritz Juhl, den ich leider nicht mehr kennenlernen konnte, erwähnen. Ich kenne ihn nur vom Hörensagen. Ich weiß, dass er am 16. Dezember 1864 in Meckenheim geboren wurde. Sein Vater war Yoel, Jonas von Meckenheim. Da ich mich erst jetzt mit der Genealogie meiner Familie befasse, muss ich sagen, dass ich gar nichts über die mütterliche Linie und die entsprechende Verwandtschaft von Yoel Jonas Juhl weiß. Aber mein Großvater, Moritz Juhl, heiratete am 2. Mai 1897 Rosa Rosenthal (Foto 6). Nach meinen bisherigen Kenntnissen war ihr Vater ein gewisser Rafael.

Nach seiner Eheschließung eröffnete mein Großvater in Zülpich ein Geschäft. Die Großeltern wohnten auch im selben Haus, und hier wurden auch mein Vater, seine Brüder und Schwestern geboren (Fotos 7 und 8). Die Anschrift lautete: Münsterstraße 20 (Foto 8). Das Gebäude gibt es heute noch, wie ich mich überzeugen konnte. Heute ist dort in den damaligen Geschäftsräumen der Christos Grill.

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(4) Richad Juhl's house in Pardes Hana (1934)

Um in die 1930er Jahre zurückzukommen: Mein Großvater war damals der Synagogenvorsteher von Zülpich und wurde auch in dem Buch von Hans-Dieter Arntz Reichskristallnacht erwähnt. Dort ist ausführlich dokumentiert, wie am 10. November 1938 das jüdische Gotteshaus durch Brandstiftung vollkommen zerstört wurde. In der Familie wird erzählt, dass mein Großvater einen ganz kurzen Telefonanruf von dem katholischen Geistlichen Dr. von Lutzenberger erhielt, der nur einen einzigen Satz enthielt: Die Synagoge brennt! Dann war Schluss.

Am nächsten Tag schickte er einen Kondolenzbrief an meinen Großvater, den ich im Original besitze (Foto 9). Am Ende der 1960er Jahre überließ mein Cousin Walter einem Journalisten, der ihn in Israel besuchte, eine Kopie. (Anmerkung von H.-D. Ar.: Es handelte sich wohl um den engagierten Zülpicher Journalisten und Heimatforscher Helmut Nagelschmitz). Das mutige Schreiben des katholischen Priesters war der Anlass dafür, dass die Stadt Zülpich nach dem Kriege eine Straße und eine Schule nach ihm benannte. Auf diesen Punkt möchte ich später noch einmal zurückkommen. Die Ereignisse während der „Reichskristallnacht“ waren ein Schock für meine Tante Luise Dieses Trauma konnte sie nie überwinden! Jahrelang musste sie sich bei uns in Israel in Krankenhäusern aufhalten, ehe sie am 14. August 1980 starb.

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(5) My fater at the Fauectwanger Bank (1945)

Mein Vater hatte zwei Onkel, Erwin und Fritz Juhl von Meckenheim, die in dem Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe ausführlich dargestellt werden. Beide flüchteten nach Holland und hatten dort schreckliche Erlebnisse. Aber sie überlebten, und ich lernte sie bei gegenseitigen Besuchen persönlich kennen. Aber die eigentlichen Hintergründe, wie meine Familie 1939 aus Deutschland entkam, ist mir heute immer noch nicht ganz klar. Ich kenne immer noch nicht die genauen Umstände, wie ihr Geschäft, ihr Haus und ihr gesamter Besitz verloren gingen. Auch, wie ihnen die Flucht gelang und wer ihnen eventuell dabei half, ist mir bisher unbekannt. Ich weiß nur, dass Onkel Walter Juhl in Dachau im Konzentrationslager war. Aber ich würde gerne Einzelheiten wissen, wie er von dort entkommen konnte.

Meine Angehörigen kamen schließlich doch nach Palästina und lebten in Tel Aviv. Mein Großvater Moritz Juhl starb dort am 5. Mai 1941 und wurde in Herzlia beerdigt. Meine Großmutter folgte ihm am 1. Februar 1949. Auf diesen Sachverhalt möchte ich später noch einmal zurückkommen. Mein Vater begann seine Tätigkeit bei der Elern Bank und lebte anfangs bei seinem Bruder Walter, bis dieser die aus Berlin stammende Lotte Moses (Foto 10) heirate. Deren Eltern waren Gustav und Bianka Moses. Beide kamen im Holocaust um.

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(6) My grandparents' wedding invitation (02/05/1897)

Mein Vater, Fritz Juhl, war Soldat der British Armyid PAL/6652 (R.H.O.C corps) und danach Mitglied der Hagana, der bekannten Einheit zur Verteidigung der jüdischen Gemeinschaften. Dieser zionistischen Bewegung war es zu verdanken, dass es tatsächlich zur Gründung des Staates Israel kam. Wie bereits erwähnte, war er danach 45 Jahre lang im Bankwesen tätig. Er begann als Angestellter bei der Elern Bank, wechselte dann zur Feuchtwanger Bank, wo er 25 Jahre lang blieb. Bis zu seiner Pensionierung war er schlussendlich bei einer ausländischen Handelsbank, der ersten internationalen Bank in Israel, tätig. Am 3. Dezember 1954 heiratete er Helena de Vires (geb. 15. März 1955), die er hier in Israel kennengelernt hatte. Meine Mutter hatte auch ein schlimmes Schicksal hinter sich. Während des 2. Weltkrieges hatte sie sich mit ihrem Bruder und ihrer Schwester 30 Monate lang in Amersfoort verbergen müssen, um nicht den Deutschen in die Hände zu fallen. In dieser Hinsicht glich das Leben im Versteck dem von Anne Frank. 1950 kam sie in den neugegründeten Staat Israel.
Mein Vater, Fritz Juhl, war eigentlich keine gesprächige Persönlichkeit, aber er war recht clever und hatte einen sechsten Sinn für die Entwicklung Israels. Gleichzeitig konnte er gut analysieren und mit Geld umgehen. Kein Wunder also, dass er die Banklaufbahn eingeschlagen hatte. Ohne eine Universitätsausbildung brachte er es zum Zweigstellenleiter.

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(7) My father and 2 brothers and 1 of his sisters (Haifa, Israel 1968)

Um auf die Geschichte der Familie Juhl in Zülpich zurückzukommen:

Schon vor etlichen Jahren wollte ich nach Zülpich kommen, um zu sehen, wo meine Familie Juhl herkommt. Anlässlich einer Deutschland-Reise gelang es mir endlich vor drei Jahren, zu den „roots“ zurückzukehren. Ich schickte eine E-mail an die Stadtverwaltung, um sie über mein Kommen zu informieren. Gleichzeitig bat ich um ein Treffen. Ich erhielt eine ausgesprochen nette Antwort und die Anfrage, ob mir das Treffen im Rathaus willkommen wäre, weil man hierzu auch die Presse einladen wolle. Tatsächlich erschien ein Bericht in der Lokalpresse: http://www.ksta.de/html/artikel/1182933852669.shtml

Als ich in Zülpich ankam, hatte ich das Gefühl, als ob ich dort schon einmal gewesen wäre. Ich hatte mich allerdings schon vorher per Google informiert und war daher etwas über die geographische und stadtinterne Situation informiert. Tatsächlich fand ich auch sofort das ehemalige Haus der Familie Juhl (Vgl. Fotos). Während ich einige Bilder zur Erinnerung machte und das Straßenschild “Juhlgasse” (Foto 12) – meine “Family Street” – fotografierte, spürte ich instinktiv, dass mich jemand anstarrte. Es war ein alter Mann, der mich auch gleich ansprach. Ich stellte mich vor, und der alte Mann sagte mir, dass er meinen Großvater Moritz Juhl persönlich gekannt hatte. Ich war sprachlos.

Das Treffen in der Stadtverwaltung war für mich recht bewegend. Dasselbe galt für das Interview mit dem Journalisten. Bevor ich mich auf den Weg nach Deutschland machte, hatte ich eine kleine Collage zusammengestellt, die ich auf Bitten hin dem Zülpicher Museum zur Verfügung stellte. Hier ging es um das großväterliche Haus, Werbezettel und Rechnungen. Dafür erhielt ich einige Informationen über meine Familie. Endlich erfuhr ich auch den Sinn eines bei uns zuhause oft zitierten Satzes: „Beides, Herr Juhl“. Immer wieder gebrauchten meine älteren Angehörigen diesen Satz, wenn gewisse Entscheidungen zu treffen waren. Aber ich hatte nie verstanden, was überhaupt damit gemeint war.

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(8) My father's Bar Mitza (13 years) party at home.

Durch die Zülpicher Stadtverwaltung erfuhr ich des Rätsels Lösung. Immer, wenn früher die Bauern ihre Ernte verkauft hatten, kamen sie zum Einkauf in das Geschäft meines Großvaters. Es war dann dort Sitte, den Kunden ein kleines alkoholisches Getränk oder etwas zum Rauchen anzubieten, wahrscheinlich um sie zum großzügigen Einkauf zu motivieren. Regelmäßig fragte dann mein geschäftstüchtiger „Opa Moritz“: „Möchten Sie eine Zigarre oder einen Schnaps?“ Und dann sollen die Bauern wohl stets geantwortet haben: „Beides, Herr Juhl!“

Während des Treffens in Zülpich erfuhr ich auch, dass der Pop Sänger Billy Joel ein weit entfernter Verwandter von mir ist. Mein Großvater und der von Billy Joel waren angeblich Cousins. Um künftig meine Ahnenforschung zu intensivieren, ist der Hinweis auf die beiden Namen Juhl und Joel vielleicht von Bedeutung.

Während meines Besuches in der Stadtverwaltung hatte ich aber auch den Eindruck, dass man nicht richtig über das Schicksal meines Großvaters informiert war. Man sagte mir, er wäre im Holocaust umgekommen. Da musste ich aber doch widersprechen, weil er 1939 aus Nazi-Deutschland flüchten konnte und im Jahre 1941 in Palästina verstorben war. Ich überprüfte per Internet und Yad Vashem gewisse Dokumente. Mein Sohn, der zurzeit im Shack Circus in Berlin ist, suchte dort das Jüdische Museum auf und erhielt sogar dort eine falsche Auskunft.

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(9) Catholic priest Dr. Lutzenberger's letter to my grandfather (original letter and the envelope)

Tatsache ist nun, dass Moritz Juhl nicht im Holocaust umkam! Ich teilte dies Yad Vashem mit und erklärte, dass auch keine Verwechslung möglich sei. Aber die Mitarbeiter halten sich sehr zurück und verlangen den Nachweis, dass es zur damaligen Zeit nur einen einzigen Moritz Juhl in Zülpich gegeben habe. Dies muss amtlich beglaubigt sein. Auf eine diesbezügliche Bescheinigung warte ich jetzt.

Herr Hans-Gerd Dick vom Stadtarchiv führte mich durch Zülpich und zeigte mir die Stelle, wo sich einst die Synagoge befand (Foto 13). Sie war in der „Kristallnacht“ in Brand gesetzt worden. Heute erinnert nur noch eine Gedenkplatte daran. Ich ließ es mir auch nicht nehmen, die Straßen anzusehen, in der einst die Zülpicher Juden ansässig waren. Zu den damaligen Freunden gehörte zum Beispiel die Familie Jacob, die ich 1966 in Holland kennenlernte.

Zwei Tage später ging ich noch einmal allein durch die ehemalige Heimat meiner Familie. Ich wollte alles gedanklich nacherleben und stellte bewusst mein Auto außerhalb des Stadtzentrums ab. Langsam wollte ich in das Zentrum hineingehen und weitere Eindrücke auf mich wirken lassen. Wenn ich in einer Stadt fremd bin, pflege ich mir grundsätzlich den Namen der Straße zu notieren, um den Rückweg zu finden. Und das führt mich zu einer meiner Geschichten, von denen ich bereits am Anfang gesprochen habe.

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(10) Uncle Walter Juhl and Aunt Lotte Juhl (Moses)

Für Fremde und Ausländer sieht eine Stadt mit einer mittelalterlichen Mauer und vier Türmen überall gleich aus. Daher hatten meine Frau und ich Schwierigkeiten, unseren Parkplatz finden. Nach langem Suchen fanden wir die Stelle – in der Lutzenberger-Straße. Die Situation hatte für mich einen symbolischen Charakter, denn das Straßenschild erinnerte mich an die „Kristallnacht“, sowie meinen Großvater und den warnenden Telefonanruf des katholischen Geistlichen. Gleichzeitig aber war der Name Lutzenberger der Hinweis auf die Stelle, wohin wir jetzt wollten.

Ich erwähnte bereits, dass mein Onkel Walter Juhl in Dachau war und irgendwie in der Lage war, zu entkommen. Später war er Busfahrer bei der Egged Bus Transportation Company in Haifa (Foto 13). Zu Beginn der 1950er Jahre organisierte diese Gesellschaft eine Sonderfahrt nach Eilat für die Angestellten und deren Familien. Die Reise ging über Male Haqrabim in der Nähe von Mmizpe Ramon in der Negevwüste, ganz im Süden von Israel. Unglücklicherweise wurden alle Reisende – außer einem einzigen - von arabischen Freischärlern ermordet. Eigentlich sollten mein Onkel Walter Juhl und seine Frau Lotte an dieser Reise teilnehmen, aber beide hatten unsagbares Glück. Alle Plätze waren ausgebucht, und es gab keine Möglichkeit mehr, ein Ticket zu bekommen. Als ich mir darüber Gedanken machte, was ich alles für diesen Beitrag schreiben sollte, kam ich zu der Erkenntnis, dass Walter Juhl sicher ein Mensch war, der dem Tode öfters „von der Schippe“ sprang, nicht nur in Dachau und in Malle Haqrabim.

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(11) My parents Fritz Juhl and Halena Rintje Juhl (De Vries) at their wedding

Weitere Erinnerungen an unsere Familie Juhl führen mich zur Schwester meines Vaters, zu Helene Has (Frenkel), die in Tel Aviv für lange Zeit ein sehr renommiertes Textilgeschäft führte. Helene blieb somit der Familientradition treu und wandelte auf den Spuren von Moritz Juhl.

Das letzte Mal, an dem die Familie wirklich vollständig zusammen war, war am 23. März 1968, als ich meine Bar Mitzwa feierte. Das Datum hatte insofern eine zusätzliche Bedeutung für mich, weil er insofern einen Markstein in der Geschichte meiner Familie darstellt. Da mein Vater – Fritz Juhl (1913-1995) – spät heiratete, wurde ich geboren, als seine Brüder und Schwestern bereits im Alter von ca. 50 bis 55 waren. Das ist insofern bedeutsam, dass sie nicht mehr lange lebten und ich später keinen mehr hatte, den ich über Zülpich und das jüdische Schicksal meiner Angehörigen fragen konnte.

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(12) I stand at the Juhlgasse corner Münsterstraße 20 in front my grand father's shop

Ich selber habe meinen Vornamen Rafi (Raphael) Meir von meinem Großvater, Moritz Meir Juhl, und von Raphael Rosenthal, meinem Ururgroßvater. Soweit ich weiß, bin ich der einzige, der von diesem Familienzweig noch am Leben ist. Da ich nie die Möglichkeit hatte, „Opa Moritz“ und „Oma Rosa“ (Rosa Juhl) kennenzulernen, wäre mir sehr daran gelegen, wenn ältere Bürger aus Zülpich mir mit persönlichen Aussagen weiterhelfen könnten. Dasselbe gilt natürlich auch für Auskünfte über meinen Vater, Fritz Juhl (geb. 25.12.1913 – 18.05.1995). Schön wäre es auch, wenn mir die Stadtverwaltung von Zülpich entsprechende Dokumente des Standesamtes überlassen könnte. Ich hoffe sehr, dass mein Artikel auf der Website von Herrn Hans-Dieter Arntz dazu beiträgt, Kontakte zu knüpfen, die mit meiner Familiengeschichte in Meckenheim und natürlich Zülpich zu tun haben: „Hopefully this article will build up a root of information to me to fill up the missing stone of my beloved grandparents“.

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(13) The Memorial plate for the Synagogue in Zülpich

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(14) Uncle Walter Juhl (Bus Driver) and me on Purim

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Judentum im Bereich Zülpich und Sinzenich

Synagoge Zülpich

Ein bekanntes Foto könnte an den jüdischen Viehhändler Voß aus Zülpich erinnern (1933)

Auf den Spuren der jüdischen Familie Juhl aus Zülpich

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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande – Gerichtsakten und Zeugenaussagen am Beispiel der Eifel und Voreifel (Rezension des Dokumentationsbandes durch Thomas Kremer, HaGalil. com, 2008)

Auschwitz survivors from Sinzenich (English version) - Jüdische Mädchen aus Sinzenich bei Zülpich überlebten Auschwitz (Shoah Testimony) Anmerkung   am flag br flag (English Version)

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Streit um das Ehrenbürgerrecht von Adolf Hitler: Beitrag der Regionalhistorie zur Klärung eines deutschen Problems am Beispiel der Römerstadt Zülpich

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