Streit um das Ehrenbürgerrecht von Adolf Hitler –
Beitrag der Regionalhistorie zur Klärung eines deutschen Problems am Beispiel der Römerstadt Zülpich

von Hans-Dieter Arntz
26.06.2007

Vor etwa 25 bis 30 Jahren begann im Kreise Euskirchen die zaghafte Aufarbeitung „unserer jüngsten Vergangenheit“. In dieser Zeit waren viele Archive bei der Sichtung der Akten noch zurückhaltend, und Begriffe wie „Sperrfristen“ und „Datenschutz“ erschwerten die Arbeit. So entstand gelegentlich der Eindruck, dass manche Regionalhistoriker noch bessere Archivunterlagen hatten als kompetente Quellen und Institutionen.

In der Auseinandersetzung, ob Adolf Hitler noch immer das Ehrenbürgerrecht der Römerstadt Zülpich habe, konnte ich mich mithilfe meines damals schon umfangreichen Archivs im Jahre 1985 zu Wort melden. Im Anschluss an den wochenlangen Streit, der in der deutschen Presse eine recht große Resonanz hatte, konstatierte der bekannte Journalist und spätere Moskau-Korrespondent Jens P. Dorner:

(…), denn offenbar besitzt der Eifellehrer Arntz in einem wichtigen Bereich deutscher Vergangenheitsbewältigung ein größeres Archiv als die Bonner Ministerialbürokratie. Weder das Innenministerium noch das Bundesjustizministerium und schon gar nicht das Bundespresseamt konnten eine definitive Antwort geben, ob Adolf Hitler in zahlreichen Ortschaften die Ehrenbürgerrechte immer noch besitzt und schon verloren hat.

Der vollständige Artikel von Jens P. Dorner -  mit der Überschrift „Ist Hitler immer noch Ehrenbürger von Zülpich?“ – erschien auf der 2. Seite aller Ausgaben der Kölnischen Rundschau und ist am Ende dieses  Homepage-Beitrags nachzulesen.

Die Auseinandersetzung um Hitlers Ehrenbürgerschaft erstreckte sich über die Zeit von März bis April 1985. Ein damals bekannter Kommunalpolitiker stellte die Behauptung auf, dass die Würdigung des „Führers“ in Zülpich nie zurückgenommen worden sei. Besonders am 20. April 1985 war das ein Thema, das die rheinische Presse aufgriff – wegen des Datums vielleicht aus nachvollziehbaren Gründen. Unter der Überschrift „Ärger mit Ehrenbürger Hitler?“ meldete sich in der Wochenend-Ausgabe vom 20./21. April 1985 die Euskirchener Lokalausgabe des Kölner- Stadtanzeigers zu Wort. Die Kölnische Rundschau gab am 20. April die Forderung der Zülpicher SPD wieder: „ SPD: Ehrenbürgerrechte an A. Hitler zurückziehen“.

Am Mittwoch, dem 24. April 1985, teilte ich den Stand meiner eigenen Archiv-Unterlagen in einem Leserbrief vor:



„Hitler besitzt das Ehrenbürgerrecht der Stadt Zülpich längst nicht mehr“


Leserbrief des Regionalhistorikers Hans-Dieter Arntz in der Kölnischen Rundschau, Lokalausgabe Schleiden unddas Eifelland (24. 4.1985) sowie für den Kreis Euskirchen (25.4.1985)

Zu unserem Artikel „SPD: Ehrenbürgerrechte an Adolf Hitler zurückziehen" vom 20.4.85 nimmt der Autor der Bücher „JUDAICA" und „Kriegsende 1944/45", Hans-Dieter Arntz, Stellung:

40 Jahre nach Kriegsende (!) und wenige Tage vor der Land­tagwahl NRW (!) stellt der Zülpicher SPD-Fraktionsvor­sitzende Dettlev Liebertz an den Rat der Stadt den Antrag, die Verleihung der Ehrenbür­gerrechte der Stadt Zülpich an den ehemaligen Reichskanzler Adolf Hitler aufzuheben.

Da anzunehmen ist, dass ähn­liche Diskussionen in anderen Ortschaften geführt werden können und eventuell Leserbriefe die Problematik zerre­den, möchte ich exemplarisch hierzu Stellung nehmen, zumal anzunehmen ist, dass Herr Lie­bertz juristisch und natürlich historisch nicht richtig infor­miert ist.

Mit Bezug auf meine Publika­tionen zum Thema Nationalso­zialismus und ähnlichem möch­te ich die unglücklicherweise in die Öffentlichkeit getragene Diskussion versachlichen:

1.)

Dettlev Liebertz betont, dass gleichzeitig mit Adolf Hitler auch Reichspräsident von Hindenburg das Ehrenbürgerrecht der Stadt Zülpich erhalten hat. Dies muss präzisiert werden. Wenn ich auch persönlich einen anderen historischen Stand­punkt vertrete und die gleich­wertige Zitierung des greisen Reichspräsidenten mit dem in­ternational verdammten Reichskanzler Adolf Hitler ab­lehnen muss, so sei ergänzt, dass sich die Stadt Zülpich 1917 schon bereit erklärt hatte, den damals beliebten Gene­ralfeldmarschall mit der Ehren­bürgerwürde auszuzeichnen.

Bereits am 1. Oktober 1917 hatte man sich geeinigt, mit der Mehrzahl der rheinischen Mit­telstände gemeinsam eine De­pesche abzuschicken, die die Ehrenbürgerwürde ankündig­te. Das Telegramm ging am 2. 10. 1917 heraus. Die Archive belegen nicht, dass auch nur ein einziger SPD-Ratsherr von Zülpich Einspruch eingelegt hätte.

Schon am 7. 10. 1917 dankte Generalfeldmarschall von Hindenburg - auch - den Städten der Voreifel und schrieb wört­lich:

Ich nehme das Ehrenbür­gerrecht mit verbindlichem Dank für das gütige Gedenken meines 70jährigen Geburtsta­ges gerne an und verbinde hiermit meine besten Wünsche für das weitere Blühen und Gedeihen Ihrer Stadt.

Zur Fertigstellung der ge­meinsamen Hindenburg- Ehrenbürger-Urkunde fehlte am 7. September 1919 nur noch dasWappen der Stadt Euskirchen, was am 15. 9. 1919 nachgeholt worden war. Viele Städte erneuerten 1933 diese Ehrenbürger­schaft; so auch Zülpich.

2.)

Dettlev Liebertz vertritt die - meiner Meinung nach - falsche Ansicht, Adolf Hitler wäre noch heute Ehrenbürger der Stadt Zülpich.
Richtig ist vielmehr folgen­des: Nach der so genannten Machtergreifung gab es nicht nur eine Flut von Beitritten in die NSDAP, was sich nach den Wahlen vom 5. März 1933 noch steigerte, sondern auch Aktivi­täten von Städten und Gemein­den, dem neuen Reichskanzler durch die Antragung der Eh­renbürgerschaft zu huldigen. Hier folgten die Voreifelstädte dem Trend der damaligen Zeit.

Die Kreisstadt Euskirchen ging am 3. April 1933 mit „gutem Beispiel" voran, kleinere Städte folgten. Zülpich wurde am 20. April 1933 aktiv. Wir wissen heute genug von den Gewis­senskonflikten der schon da­mals verfolgten Sozialdemokra­ten, so dass eine Wertung der damaligen Entscheidungen heute schwer ist.

Es ist jedoch Tatsache, dass ein damals noch amtierender SPD-Ratsherr offiziell bei der Antragsbegründung gemeint hat:

Wie sich das Volk in großer Mehrheit hinter die nationale Regierung gestellt hat, so hat es dies auch in der Stadt getan. Es gilt für mich jetzt, hinter die Maßnahmen der Regierung zu treten, die unser Volk aus der schweren Krise herausführen will. Nach dieser Erklärung regte sich im Saale stärkerer Beifall (Westdeutscher Beobachter).

Dass die von Herrn Liebertz in den Vordergrund gestellte Stadt Zülpich keineswegs eine Son­derstellung einnahm, bewies ein Schreiben der Kanzlei Adolf Hitlers, München, Briennerstraße 45, vom (wahrscheinlich) 28. 4. 1933, das am 4. Mai in der Römerstadt eintraf. Mit Bezug auf die angetragene Ehrenbür­gerschaft wurde mitgeteilt:

Die augenblicklich starke Überlastung der Kanzlei macht zurzeit eine sofortige Bestätigung der täglich für den Führer in großer Zahl eingehenden Anträge um Annahme der Ehrenbürgerschaft, Ehrenbürger- Urkunden etc. unmöglich. Da auch der Führer aufs äußerste in Anspruch genommen ist, werden die antragstellenden Körperschaften gebeten, sich noch kurze Zeit zu gedulden Ein persönliches Dankschrei­ben des Reichskanzlers gehl Ihnen sobald als möglich zu (…).

Das Ehrenbürgerrecht Adolf Hitlers ist in Zusammenhang mit dem Runderlass vom 12.1.1936-III   M46 e. Nr. 46/35 oder auch §21 Abs. 2 DGOsehen. Auch die Beachtung der Vorschrift des § 33 Abs. 1 Zif­fer 2 ist wichtig. Der Reichs- ­und Preußische Minister des Innern in Berlin formulierte  am 14. 4. 1936 unter V a I bereits die Antwort auf den Antrag von Herrn Dettlev Liebertz, Zülpich, im voraus:  

Das Ehrenbürgerrecht ist ebenso wie das Bürgerrecht ein reines Persönlichkeitsrecht; es erlischt daher mit dem Tode des Trägers von selbst. Eine förmliche Aberkennung ist dann rechtlich nicht mehr möglich!

Der Regierungspräsident in Köln gab diese Regelung am 18. 4.1936 an den Landrat des Kreises Euskirchen weiter. Entsprechende Kopien wur­den der Stadt Zülpich etwa zehn Tage später zugestellt.

3.) Abschließend sei mir eine Bemerkung erlaubt, die Bezug auf moralische Aspekte nimmt. Vieles  ist  in  den  jeweiligen Städten und Gemeinden tat­sächlich noch nicht aufgearbei­tet. Manche Siedlung, manche Straße hat auch noch heute einen dubiosen Namen. Die verspätete (!) Umbenennung der Straßen und Plätze in Zülpich aufgrund der von Herrn Liebertz genannten Beschlüsse vom 22. 2.1946 und 4. 7.1947 ist völlig normal. Genaue Reglementierungen hierzu sind der Sammlung IV/255 (Euskirchener Stadtarchiv) zu entnehmen. Die Euskirchener Stadtverwaltung wurde hier sogar schon am 22. März 1945 (!) aktiv.

Meine Recherchen haben ergeben, dass eine gezielte, konkrete Aufarbeitung unserer jüngsten Geschichte bei den von mir angesprochenen Ver­waltungen oft recht erfolgreich war.

Es steht jeder Stadt mora­lisch gut an, sich von der Vergangenheit zu distanzieren. Ob dies unter anderem auch durch eine zusätzliche, posthume Aberkennung längst erloschener Ehrenbürgerrechte möglich sein kann, sollte in aller Ruhe - nach der Aufli­stung anderer nachgewiesener Aktivitäten - abschließend überprüft werden.

Hans-Dieter Arntz

 

Weitere Aktivitäten – auch in Form von Vorträgen – beendeten die Diskussion in der Eifelregion. Der bereits erwähnte Journalist und spätere Moskau-Korrespondent Jens P. Dorner fasste die regionalhistorischen Argumente provokativ zusammen. Sein Lob für die gemachten Archivrecherchen konnte auch durch die Tatsache, dass er den Namen „Arntz“ nicht richtig schrieb, nicht getrübt werden.

Ist Hitler immer noch Ehrenbürger von Zülpich?

Kommentar von Jens P. Dorner in der Mantelausgabe der Kölnischen Rundschau vom 26. April 1985, Seite 2

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