Judenfeindliches im Karneval des Dritten Reiches

von Hans-Dieter Arntz
05.03.2014

Bezug nehmend auf den heutigen Tag sei gesagt, dass der Begriff Aschermittwoch etymologisch von dem lateinischen Begriff „dies cinerum“ („Tag der Asche“) abzuleiten ist. Er gilt – nach der Zeit ungehemmter Fröhlichkeit - ursprünglich als Tag der Besinnung und Buße. Bereits im Alten Testament und in der Spätantike ist der mit Asche bestreute Büßer im Bußgewand als Synonym der Bestrafung und der Umkehr bekannt. Auch der diesbezügliche Link zu Wikipedia erklärt den religiösen und historischen Aspekt des Aschermittwochs.

Wahrscheinlich dachte jedoch früher am Aschermittwoch keiner daran, dass auch der rheinische Karneval für den judenfeindlichen Rassismus missbraucht wurde. Spätestens im Jahre 1934konnte man nämlich beobachten, wie Juden diskriminiert wurden und dass provozierende Empfehlungen für ihre erwünschte Auswanderung persifliert wurden. Hierzu werden im vorliegenden Online-Artikel anhand der Kölner und Euskirchener Rosenmontagszug Beispiele angeführt. Tatsache ist, dass diese Veranstaltungen in „Stürmer“-Manier zur Judenhetze missbraucht wurden. Aber sehr wahrscheinlich machte sich damals am Aschermittwoch kein rheinischer „Jeck“ darüber Gedanken.

Der gerade ausgelebte Karneval ist uns mit seinen vielen Aspekten natürlich noch in bester Erinnerung, und belustigt könnte man daher noch meinen Artikel Seit 1840 Karneval in Euskirchen lesen, den ich bereits 1985/86 verfasste, um auf einige regionalhistorische Sachverhalte hinzuweisen, die sich historisch mit der Zeit seit 1651 befassen.

Die weiteren Beispiele aus dem 19. Jahrhundert befassen sich dem damaligen Voreifeler Sittenkodex. Was zu dieser Zeit im Karneval „freizügig“ war, entschied der Vertreter der Obrigkeit. Wie hieß es doch 1882 im Paragraphen 5: „Ob eine Person als maskiert zu betrachten sei, ist im einzelnen Falle von dem Dienst tuenden Polizeibeamten zu entscheiden." Und wer etwas über Weiberfastnacht 1908 in der Voreifel erfahren möchte, möge einen weiteren Blick auf meine Homepage werden.

Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz

Als Hochburg des rheinischen Karnevals hat die Domstadt Köln spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine besondere Bedeutung für ihre Bewohner. Der Karneval in Köln, das nach dem Abzug der Franzosen seit 1815 preußisch war, wurde (vgl. Wikipedia) 1823 mit der Gründung des „Festordnenden Comites““ neu belebt und organisiert, vermehrt um die Komponente der Kritik an der (fremden) Obrigkeit: ein „kulturpolitischer Streich mit humoristischem Ambiente“. Auch in den letzten Wochen war wieder festzustellen, dass zudem der Fasteleer bzw. der Fastelovend eine besondere Bedeutung für den Wirtschafts- und Tourismussektor des Rheinlandes hat.

Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Zeit des Frohsinns auch von einer spezielle Form der Politik bestimmt werden kann, obwohl sie eigentlich ein Ausdruck des Brauchtums und ein wichtiger Aspekt der Volkskunde ist. Besonders auf die Bezeichnung „Volkstum“ legten die Nationalsozialisten großen Wert und waren daher bemüht, den Rosenmontagszug, die Saalveranstaltungen und auch die Karnevalsgesellschaften für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Fasching und Karneval während des Nationalsozialismus waren gelegentlich auch rassistisch und hatten besonders 1934/35 judenfeindliche Nuancen, was am Beispiel des Kölner Karnevals bewiesen werden kann. (vgl. auch Film, 4:56 Min. ff.).


Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln bewies im Jahre 2012 in der eindrucksvollen Ausstellung Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz, wie die damalige Auffassung vom Karneval mit der Wirklichkeit kollidierte. Auf der einen Seite stand das Bedürfnis nach totaler Kontrolle im Sinne der NS-Ideologie, auf der anderen jedoch der Wunsch nach zwangloser und unpolitischer Unterhaltung. Bis zum 4. März 2012 konnte man sich in den Räumen des EL-DE-Hauses von diesem Gegensatz der Entwicklung des Karnevals zwischen 1933 und 1945 nicht zuletzt anhand vieler Filmdokumente, Lieder, Büttenreden und Bilder der Motivwagen überzeugen. Hierfür warben auch die beiden abgebildeten Bilder.

Judenfeindliches im Euskirchener Karnevalszug (1934)

Um den Bezug zu der vorliegenden regionalhistorischen Homepage zu berücksichtigen, soll an dieser Stelle auch an den Euskirchener Karneval in der NS-Zeit erinnert werden. Nicht nur im Kölner Rosenmontagszug, sondern auch in der Voreifeler Kreisstadt wurden bei diesem Anlass Juden und Zigeuner verspottet und diskriminiert. Das Buch JUDAICA – Juden in der Voreifel (S. 188) weist auf eine Vorschau des Westdeutschen Beobachters (Euskirchener Lokalausgabe vom 8. Februar 1934) hin:

„In einem der ersten Wagen sehen Sie das weltfremde, oft ärgerniserregende, fidele, anständige Zigeunervolk mit seinem gewaltigen großen Führer, Zigeunerbaron Topossimitri (...) Sie haben ebenfalls die Gelegenheit, eine Auslese edelrassiger Völker zu sehen, zusammengesucht und gefunden in Ägypten, auf dem Balkan, Flatschengitschinich und sogar im Urwald. Sie sehen ein farbenfrohes, sonnengebräuntes, lachendes, fideles Völkchen, welches seit alter Überlieferung vom Schweiß der arischen Rasse lebt...“

Anmerkung zum „latenten Antisemitismus“ in Deutschland

Die jüngsten Ereignisse in Deutschland und spezielle Untersuchungen beweisen, dass nicht nur latenter, sondern offenbar auch inzwischen wieder manifestierter Antisemitismus feststellbar ist. Angeblich sollen 20% der Bevölkerung keine Vorbehalte mehr haben, diesbezüglich aggressive Meinungen zu äußern. Diese Feststellung sollte zum Nachdenken Anlass geben, und Beispiele aus der NS-Karnevalszeit sollen erinnern ....

Selbst wenn man sich auch heutzutage mit angeblich „harmlosen“ Sachverhalten befasst, so bestätigt sich weiterhin der Eindruck, als ob „Fremdenfeindlichkeit“ oder gar latenter Antisemitismus  ein Teil des kollektiven Unbewussten ist, wie es der Psychologe Carl Gustav Jung bezeichnen würde. Auf meiner vorliegenden regionalhistorischen Homepage habe ich den latenten Antisemitismus mehrfach thematisiert. Vor Jahren befasste ich mich zum Beispiel mit sprachlichen Aspekten, mit der Eifel-spezifischen Idiomatik, dem Dialekt und Platt. Hier sammelte ich Redensarten, die sich – zumindest bis in die Nachkriegszeit hinein – in oft diskriminierender Art mit dem „Judentum“ befassten. Vgl.: Jüdisches im Dialekt und Platt der Voreifel und Eifel – Aufarbeitung der Vergangenheit durch Erinnerung an sprachliche Relikte.

Ende der 1970-er Jahre zeigte mir Dr. Zippelius, der damalige Direktor des Freilichtmuseums Kommern, mehrere Ansichtskarten und Kaffeetassen aus der Kaiserzeit, die mit provozierenden, judenfeindlichen Bildern und Inschriften versehen waren. Da rühmte sich die Nordsee-Insel Borkum mit dem Hinweis, Juden keinen Sommerurlaub gewähren zu wollen. Auch in den damals bekannten tschechischen Kurorten Marienbad oder Karlsbad propagierte man die „Vertreibung jüdischer Gäste“, die meist aus Deutschland kamen. 

 

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Die diesbezügliche Entwicklung und die in den 1930-er Jahren einsetzende Verunglimpfung von Juden ist bekannt. Das begann mit den Verboten, sich auf „arische“ Bänke zu setzen, nicht mehr ins Schwimmbad zu gehen etc.. Prof. Joseph Walk befasste sich in seinem Buch über das „Sonderrecht für die Juden im NS-Staat“ mit der Fortsetzung dieser Formen des Antisemitismus.

Antijüdisches Karnevalslied in Köln: „Hurra, die Jüdde trecke fott“

Im Katalog zur Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln/NS- Dokumentationszentrum (Köln 1988/89, S. 241-243) findet man den Text des Karnevalsliedes „Hurra, die Jüdde trecke fott“, für dessen Musik und Text Jean Müller aus Köln-Buchforst verantwortlich war. Die verdienstvollen Herausgeber des Katalogs „Jüdisches Schicksal in Köln 1918-1945“ stellten hiermit ein prägnantes Beispiel für einen judenfeindlichen Karneval vor, der „Die Jüdde wandern uss !“ als wünschenswertes NS-Ziel propagiert:

 

1. Et deit sich alles freue,
Mir sinn jetz bohl su wick,
Mir wääde jetz in Deutschland,
Die Jüdde endlich quwitt.
En jeder Stroß do hat mer,
Neh Jilddelade stonn,
Et jitt noch immer domme,
Die dobei kaufe jonn.
Mett dä Jüdde es jetz Schluß,
Se wandere langsam uss.

Ref.:
Hurra mer wäde jetz die Jüdde loß,
Die ganze koschere Band,
Trick nohm gelobte Land.
Mir laachen uns für Freud noch halv kapott,
Der Izig un die Sahra die träcke fott!

2. Wenn die Jüdde bei uns kohme,
Mett neh'm lange Rock un Flüh,
Fingen die an zu hausiere,
Arbeide deit dä Jüdd doch nie.
Mett Knoche, Lumpe, Iser,
Un watt et söns noch jitt,
Un mett nehm Sack om Röcke,
Häh durch die Stroße trick.
Mett däm Handel ess jetz Schluß,
Dröm wandern die jetz uss.
Refr.

3. Wenn die ganze koschere Jüdde,
Us Deutschland sinn erus,
Zwei dann mir he behalde,
Die stelle mir dann uus.
Eine enn die Schreckenskammer,
Eine ett Museum kritt geschenk,
Datt mir an die Judenplage,
Mett Schrecke später denk.
Wenn man die zwei dann sieht,
Singt man för Freud datt Leed:
Refr.

4. Der Lehrer fragt die Kinder,
Des Morgens nach der Paus?
Wer ein schönes Lied kann singen,
Darf früher gehn nach Haus?
Et deit sich keiner melde,
Keiner well der erste sinn,
Do rööf der kleine Pitter,
Da en der Mautgaß wonnt am Ring:
Ich kann en schön neu Leed,
Watt mie Vatter mich geleet
Refr.

Karl Schwesig und der Kölner Karneval

Karl Schwesig (1898-1955) war ein deutscher Maler, Mitglied der Künstlervereinigung Das Junge Rheinland und Oppositioneller in der Zeit des Nationalsozialismus. Während des Nationalsozialismus wurde er verfolgt und mehrfach inhaftiert.
Nach dem Reichstagsbrand beteiligte sich Schwesig an der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern und gewährte Verfolgten Unterschlupf. Im Juli 1933 wurde er von der SA in den berüchtigten „Schlegelkeller“ verschleppt und gefoltert und anschließend wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 16 Monaten Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung schuf Schwesig einen 48 Zeichnungen umfassenden Zyklus „Schlegelkeller“, der in Brüssel, Amsterdam und Moskau ausgestellt wurde.

Künstlerisch setzt sich Karl Schwesig nicht nur mit den schrecklichen Folter-Erlebnissen im Schlegelkeller auseinander, sondern auch mit eindrucksvollen Bildern zum Kölner Karneval. Zur diesbezüglichen Literatur (Carl Dietmar, Marcus Leifeld: Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich, München 2010) heißt es:

Der Leser .... lernt mutige Karnevalisten (Karl Küpper aus Köln, Leo Statz aus Düsseldorf, und andere mehr) kennen und erfährt von kritischen Künstlern wie Max Beckmann (1884-1950) und Karl Hofer (1878-1955), von gesellschaftskritischen Karnevalsbildnissen oder den Lumpen- und Maskenbällen in Künstlerkreisen. Auch zeigen die Autoren auf, wie die KPD-Mitglieder Karl Schwesig (1898-1955) und Otto Niebergall (1904-1977) sich den Karneval als Vehikel für politischen Widerstand zu Nutze machten, indem sie 1938 eine Karnevalszeitung in der Gestaltung der offiziellen Kölner Rosenmontagszeitung herausgaben. Mit beißendem Spott und Witz wollten sie über das nationalsozialistische Regime aufklären (Joseph Goebbels’ Motto als Prinz „Jüppche I.“: „Immer löje wi jedrukk“ oder mit regimekritischen Wagenentwürfen, betitelt wie: „Daß wir hier in Flammen aufgehen, verdanken wir dem Führer!“....

Nazis richteten Leo Statz, einen Düsseldorfer Karnevalisten, hin (1943)

Der in Köln geborene Leo Statz  (1898-1943) war ein deutscher Unternehmer und entschiedener Kritiker des Nationalsozialismus. Im Düsseldorfer Karneval war er stark engagiert. Er verfasste Karnevalslieder und humorvolle Gedichte, früh war er Mitglied im Großen Schützenverein und bei den Düsseldorfer Jonges, später wurde er Präsident des Karnevalsausschusses der Stadt Düsseldorf sowie der Prinzengarde. In Konflikt mit den Nationalsozialisten kam er beispielsweise durch das Karnevalslied „Duze, Duze, Duze mich“, da es von vielen in Anspielung auf Mussolini als „Duce, Duce, Duce mich“ gesungen wurde.

Um wieder zum eigentlichen Regionalhistorischen zu kommen, sei erwähnt, dass die Schwester von Leo Statz die Ehefrau des auch in der Voreifel noch recht bekannten Politikers Dr. Hermann Pünder war, der Schüler des St. Michael-Gymnasiums war. Als Vorsitzender des Ehemaligen-Vereins erwarb er sich unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg große Verdienste um die Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs von Münstereifel.

Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Hermann Pünder von der Gestapo verhaftet und wegen Beteiligung an der Verschwörung gegen Hitler in die Konzentrationslager in Buchenwald und Dachau deportiert. Am 20. November 1945 wurde Pünder von der britischen Militärregierung zum Oberbürgermeister von Köln ernannt.

Über seinen Verwandten, Leo Statz, schrieb am 1. November 1993 die Düsseldorfer Lokalpresse:

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