DIE SHOAH – WO, WIESO, WIE, WANN, WER?

von Dr. Wolf Murmelstein
11.05.2010

Einleitung von Hans-Dieter Arntz

Die bekannte Bemerkung Hitlers, dass bereits in den 1930er Jahren „kein Mensch mehr über die Verfolgung und Vernichtung der Armenier während des 1. Weltkrieges“ nachdenke, ließ Befürchtungen aufkommen. So ist es nicht verwunderlich, dass ein derartiges Gedankengut in der damaligen Zeit auch in Polen offen geäußert wurde. Hier hatten viele ein ähnliches, nämlich jüdisches Feindbild.

Nach dem Tod von Pilsudki (1867-1935) glaubten die Polen, in Hitler einen Verbündeten gefunden zu haben und begannen eigenmächtig mit der Diskriminierung und Verfolgung ihrer jüdischen Mitbürger. Dass man aus der Historie offenbar nichts gelernt hat, konstatiert Dr. Wolf Murmelstein (geb. 10.05.1937) in einem Telefonat mit mir. Wörtlich resümierte der Sohn des bekannten letzten Judenältesten von Theresienstadt, Dr. Benjamin Murmelstein: „Wenn man bedenkt, dass in Osteuropa - Ungarn, Slowakei, Tschechien - heute wieder nazi-ähnliche Parteien und Gruppen ihr Unwesen treiben, könnte man verzweifeln!“ Erinnerungen an die schlimmste Zeit deutscher Geschichte werden wach:

Als „Holocaust“ [ˈhoːlokaʊ̯st, holoˈkaʊ̯st] (vom griechischen ὁλόκαυστον holókauston ‚vollständig verbrannt‘) oder „Schoah (Shoa)“ (hebräisch השואה ha'Schoah ‚Unheil‘ oder ‚große Katastrophe‘) wird die Ermordung von mindestens 5,6 bis 6,3 Millionen Menschen bezeichnet, die das Deutsche Reich in der Zeit des Nationalsozialismus als Juden definierte. Dieser historisch einmalige Völkermord zielte auf die vollständige Vernichtung der europäischen Juden und wurde – begründet vom Antisemitismus der NSDAP – systematisch und im Zweiten Weltkrieg zum Teil mit industriellen Methoden durchgeführt.

Der in Europa allmählich wieder erwachende Faschismus hat nun Dr. Wolf Murmelstein dazu bewegt, in gut lesbarer Form die allmähliche Entwicklung des Holocaust darzustellen. Dies könnte als Erinnerung und Mahnung dienen. Er fasst seine persönliche Sichtweise des Holocaust (Shoah), mit dem er täglich – direkt oder indirekt - konfrontiert wurde, zusammen. Als Kind überlebte er den Holocaust– an der Seite seines prominenten Vaters, des letzten Judenältesten von Theresienstadt.

WIKIPEDIA konstatiert dessen Funktion:

„Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 an das Deutsche Reich gehörte Murmelstein als Leitungsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Wien an. Er leitete kurze Zeit später die von Nationalsozialisten geschaffene Auswanderungsabteilung der Wiener Kultusgemeinde, die bereits im Mai 1938 auf Betreiben der Nationalsozialisten in „Jüdische Gemeinde“ umbenannt wurde. In dieser Funktion musste Murmelstein eng mit der im August 1938 geschaffenen „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien“ kooperieren, die einzig dem Ziel diente, die Emigration von Wiener Juden zu forcieren. In dieser Funktion konnte Murmelstein vielen jüdischen Mitbürgern aus Wien das Leben retten. Er fungierte zudem als stellvertretender Leiter der jüdischen Gemeinde in Wien unter Josef Löwenherz. Ab November 1942 war er im Beirat des Ältestenrates der Juden in Wien unter dessen Leiter Löwenherz.

Am 29. Januar 1943 wurde Dr. Benjamin Murmelstein nach Theresienstadt deportiert und fungierte dort von Anfang an als „Zweiter Stellvertreter des Judenältesten“ Paul Eppstein. Vom 27. September 1944 bis zum 5. Mai 1945 war Murmelstein letzter Judenältester im Ghetto Theresienstadt und löste in dieser Funktion den ermordeten Eppstein ab. Murmelstein war als Judenältester bemüht, durch Kooperation mit den Nationalsozialisten möglichst viele der internierten Juden zu retten.“

Aufgrund meiner kollegialen und freundschaftlichen Kontakte zu Dr. Wolf Murmelstein konnte ich es erreichen, dass dieser vor einigen Jahren einige wichtige Passagen meiner Publikationen ins Italienische übersetzte. Wesentliches habe ich auch auf meine Website gesetzt, zum Beispiel: Vita Religiosa Ebraica Nel Ghetto Di Riga. Hier geht es um das jüdisch-religiöse Leben der Kölner Juden im Ghetto von Riga.

Unter der Überschrift „Die Shoah – Wo, Wieso, Wie, Wann, Wer?“ fasst er in Kurzform seine Gedanken zusammen. Gerne stelle ich sie meinen Lesern zur Verfügung.

 

DIE SHOAH – WO, WIESO, WIE, WANN, WER?

Dr. WOLF MURMELSTEIN

 

Todesfallanzeige

 

WO SPIELTE SICH DIESE TRAGÖDIE AB?

Die Shoah ist eigentlich ein kaum begreifbares Kapitel der europäischen Geschichte, besonders in der von Ost- und Mitteleuropa. Hier lebten seit Jahrhunderten große jüdische Gemeinden; aber sie wurden dennoch fast immer als Minderheiten diskriminiert und benachteiligt. Erst die systematische Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten ging als Shoah oder Holocaust in die Historie ein. Sie konzentrierte sich anfangs auf folgende Länder: Polen, Ukraine, Weißrussland, Russland, Litauen, Lettland, Österreich, Böhmen-Mähren, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges folgten Griechenland, Holland, Belgien, Frankreich und Italien. Maßnahmen gegen Juden gab es sogar in Libyen und im französischen Einflussbereich von Nordafrika. Gewalttaten gegen Juden ereigneten sich auch in Irak und anderen arabische Staaten.

 

WIESO KONNTE ES DAZU KOMMEN?

1. NEUE STAATEN

 Aus Gegensätzen unter Völkern werden gefährliche Konflikte zwischen Staaten.

Besonders der Zerfall der k.u.k. Monarchie Österrreich/Ungarn und des jahrhundertealten Osmanischen Reiches sowie die Auflösungserscheinungen in Deutschland und Russland nach dem 1. Weltkrieg müssen historisch und politisch als wichtiger Aspekt konstatiert werden. Auch in den neuen Staaten - Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien - spielte jetzt nationalstaatliches Denken und Handeln eine wesentliche Rolle, sodass die Rechte und Interessen von Minderheiten, die oft über die neuen Grenzen schauten und sich entweder an Deutschland oder Ungarn anschließen wollten, vernachlässigt wurden. Diese Unterschiede waren vor dem 1. Weltkrieg nicht so auffallend.

Aus den schon immer bestehenden Gegensätzen zwischen Völkern wurden spezielle Konflikte zwischen Staaten, verschärft durch religiöse wie auch wirtschaftliche und soziale Unterschiede. Besonders die Juden galten schon immer als eine Minderheit, die oft verstreut, aber auch in großen Gemeinden lebte. Ihr Leben in oft desolaten Vierteln der seit 1919 bevölkerungsmäßig explodierenden Großstädte verwies sie überall in Mittel- und Osteuropa an den Rand der jeweiligen Gesellschaft.

 

2. WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE PROBLEME

Inflation und Reparationen führten zur Verarmung breiter Schichten. Die neuen Landes- und Zollgrenzen unterbrachen alte Wirtschaftverbindungen.

Die Inflation von 1923 in Deutschland, Österreich und Ungarn führte zu der Verarmung des früheren Mittelstandes, da Staats- und Kriegsanleihen wertlos geworden waren und selbst der Hausbesitz durch die neuen Mieterschutzregelungen finanziell nicht mehr ertragreich war.

Hinzu kam, dass Löhne und Gehälter täglich Einbußen erlitten. Frühere Wirtschaftskontakte wurden durch die Nachkriegspolitik reglementiert und beeinträchtigt. Der Verlust von Kolonien oder besonderen Standortpräferenzen erschwerte oder veränderte den Zugang zu den Rohstoffen und somit die Fortsetzung der einst überall boomenden Industrie. Auch der Zugang zu den Absatzmärkten hatte sich geändert, was besonders den Juden schadete, die seit Jahrhunderten systematisch am organisierten und gut strukturierten Handel beteiligt waren. Agrarprodukte, die ebenfalls gehandelt wurden, fanden kaum noch Zugang zu den gewohnten Absatzmärkten.

Die neuen Lasten, die auch in Form von Reparationen dem Deutschen Reich auferlegt wurden, waren für Probleme im internationalen Zahlungsverkehr verantwortlich. Soziale Leistungen als Folge des 1. Weltkrieges wuchsen ins Unermessliche, da es zudem viele Witwen, Kriegswaisen und Invaliden gab. All das belastete die jeweiligen Staatshaushalte.

Die Idee einer Wirtschaftsunion zwischen den Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie scheiterte am Widerstand der Tschechoslowakei; dasselbe galt für einen Zollverein Deutschland-Österreich, da Frankreich hierzu seinen Einspruch einlegte.

Viele verarmte Bürger und um Lohn und Arbeitsplatz bangende Arbeiter konnten nicht nachvollziehen, wie Großindustrielle mit ihrem kaum versteuerten Kriegsgewinn neuen Besitz und Macht erwarben. Auch diese reaktionären Kreise hatten Interesse daran, die „Juden“ als Schuldige darzustellen. Damit wurde wieder einmal der Vorwurf wiederholt, dass „der Jude“ an allem Schuld sei.

 

3. DIE UNFÄHIGKEIT DER DEMOKRATISCHEN POLITIKER, DIE WIRTSCHAFTLICHEN UND SOZIALEN PROBLEME ZU LÖSEN, FÜHRT ZUM TOTALITARISMUS UND ZUR DIKTATUR.

Nach dem 1. Weltkrieg bildeten sich in Mittel- und Osteuropa Diktaturen, z. B. Ungarn, Rumänien, Polen, Jugoslawien, Bulgarien und Baltische Staaten. Die Form dieser autokratischen Regierungsform war ideologisch und strukturell als landesspezifische Variante zu betrachten. (z.B. Sowjetunion – Kommunismus, Italien-Faschismus…). Der jetzt straffere Vollzug staatlicher Ordnungsmaßnahmen entsprach durchaus dem Wunsch vieler Bürger, die in der chaotischen Nachkriegszeit überall den Verlust ihrer Sicherheit befürchteten. Viele lehnten den langatmigen Mechanismus der Demokratie und des Parlamentarismus ab. Hinzu kam, dass die klassischen Demokratien - wie z. B. USA, England, Frankreich - oft mit Großbanken und Auswüchsen des Kapitalismus assoziiert wurden. So war es für die Propaganda im Deutschen Reich leicht, Demokratie mit Plutokratie gleichzusetzen. Daraus resultiert, dass besonders in Deutschland erfolgreiche Juden als „Agenten der Plutokratie“ verunglimpft wurden. Ihnen wurde die Schuld an der Weltwirtschaftskrise, Schließung vieler Firmen oder beinahe weltweiten Arbeitslosigkeit vorgeworfen. Daher hatten totalitäre Bewegungen, die eine „aktive Wirtschaftspolitik“ in ihrem eigenen Verständnis propagierten, steigenden Zulauf.

 

4. DIE VERBREITUNG VON RASSISTISCHEM UND ANTISEMITISCHEM GEDANKENGUT IN PHILOPHIE UND THEOLOGIE BEREITEN DEN WEG ZUM TOTALITARISMUS VOR

Stichwörter: „Bibel und Babel“ und die Sakralisierung der Deutschen Nation auf der Suche nach Lebensraum im Osten Europas; der Mythos der Arischen Rasse; „Übermensch“ und „Held“. Ästhetik der „Germanischen Geschichte“ und vorchristlicher Mythen auch bei anderen Völkern.

a. Der Orientalist Paul de Lagarde sakralisierte in seinen „Deutsche Schriften“ den Deutschen Nationalismus, indem er eine am „germanischen Wesen“ ausgerichtete Religion forderte. Der Theologe Friedrich Delitzsch leugnete das Alte Testament, da er seinen Ursprung in alten babylonischen Legenden sah. So trennten sogar viele Theologen das Neue Testament vom „jüdischen“ Alten Testament, was einer antisemitischen Propaganda dienlich war.

b. In der Philosophie entwickelte sich auf Grund der Schriften von Friedrich Nietzsche die Idee vom „Übermensch“. Hinzu kam die Gestalt des altgermanischen und griechischen Helden, der ohne Rücksicht auf Gesetz und Moral zu siegen vermochte. Nur Verrat konnte ihn niederwerfen. Der sklavische Glaube an Obrigkeit und die Akzeptanz von Führertum und Gehorsam wurden zum neuen ideologischen Ideal.

c. Die Rassentheorie von Gobineau sollte zudem die Theorie der Überlegenheit einer „arischen“ oder „germanischen Rasse“ belegen. Daraus resultierte angeblich, dass das „Deutsche Volk“ den Vorrang hatte und seinen „Lebensraum im Osten“ erobern sollte.

d. Vergleichbare „geistige“ Strömungen – mit heidnischem oder klerikalem Schwerpunkt – gab es auch in anderen europäischen Ländern. Selbst das ideelle Vorbild alter germanischer Gottheiten erleichterte die Auslandkontakte der Nazis. Die Klerikalen in Deutschland wie auch in anderen Staaten glaubten sogar, in rechtsradikalen Parteien – Nazis, Faschisten, usw. – ein Mittel für den Kampf gegen Kommunismus, Sozialismus, Liberalismus und Parlamentarismus gefunden zu haben.

e. In einigen Staaten galten „Gesetze“ gegen Zigeuner oder Geistesschwache, die Maßnahmen wie Entfernung der Kinder aus der Familie oder eine Zwangssterilisierung vorsahen.

In den USA sah die im Jahre 1924 beschlossenen Regelung zur Einwanderung ein rassistisches Quotensystem vor. In vielen ihrer Bundesstaaten – nicht nur im „Süden“ – galt die gesetzliche Trennung (mit Eheverbot) zwischen „Weißen“ und „Farbigen“; die „Indianer“ hatte man schon am Ende des 19. Jahrhunderts in „Reservate“ verbannt. Die potenzielle Gefahr, die von Hitlers Buch „Mein Kampf“ ausging, wurde am Ende der Weimarer Republik von keinem wahrgenommen.

 

WIE GESTALTETEN SICH DIE VERFOLGUNGEN IN DER SHOAH?

VERÄCHTLICHUNGMACHUNG

a. Herabsetzung des Judentums als Religion. Anschuldigungen wegen „Gottesmord“ und Ritualmord. Verleumderische Darstellungen vom Inhalt der Rabbinischen Literatur und der Gebete.

b. Herabsetzung der Juden als Menschen. Stereotyp des „jüdischen Spekulanten“, der sich in der Krise und Notlage an den „kleinen Leuten“ bereichert. Jüdische Künstler und Schriftsteller wurden durch den Vorwurf, an einer undeutschen, „entarteten Kunst“ beteiligt zu sein, diskriminiert. Sie wurden der Zersetzung der Sitten durch Literatur und Theater beschuldigt.

 

GEWALT IN WORT UND TAT

a. Diskriminierung und Beschimpfung schürten den Hass gegen die Juden, was sich in Reden, Versammlungen, Zeitungsartikeln, Hetzschriften und Karikaturen manifestierte.

b. Dies führte zu Gewalttaten gegen jüdischen Besitz wie auch gegen Menschen. Die Folge war: Verwüstung von jüdischen Friedhöfen, Bombenattentate auf Synagogen, Angriffe auf Personen, Verletzte und Todesopfer.

 

BESTIMMUNGEN, DIE SUBSTANZIELL DIE JUDEN TRAFEN

Quotensysteme – ethnische oder religiöse – für die Zulassung an Hochschulen, zum Ausüben freier Berufe oder verringerte Gewährung von Konzessionen beeinträchtigen die Existenz der Juden.

 

BESTIMMUNGEN GEGEN DIE JUDEN

Konsequenz: Ausschluss aus Hochschulen, Schulen und freien Berufen, Entlassung von Beamten und Angestellten aus dem Staatsdienst und Unternehmen, Enteignung, Zwangsverkauf von Besitz und Firmen, Entzug der Staatsbürgerschaft.

 

AUSSCHALTUNG AUS DEM TÄGLICHEN LEBEN

Kennzeichnung von Besitz und Personaldokumenten. Einschränkung von Wohnsitz und Bewegungsfreiheit. Institutionalisierung von „Judenhäusern“ in Deutschland, in Polen Konzentrierung der Juden in Ghettos. Diese wiesen bereits vor der Shoah eine hohe Sterblichkeitsrate auf.

 

DEPORTIERUNG

Deportation der Juden zuerst aus Deutschland, Österreich und dem Protektorat Böhmen-Mähren; dann auch aus anderen besetzten Ländern. Verschickung in die Vernichtungslager.

 

MASSENMORD

Massenerschießungen durch die EINSATZGRUPPEN (SS und Polizei) sowie auch durch ungarische und rumänische Truppen, Milizen in den besetzten Ländern.

a. Zwangsarbeit unter lebensgefährlichen und gesundheitsschädigende Bedingungen.

b. Mobile Gaskammern auf Lastkraftwagen.

c. Vernichtungslager in Polen mit Gaskammern und Krematoriumsöfen. Aus den Ghettos wurden die Juden in diese Lager gebracht und ermordet.

 

WANN SPIELTEN SICH DIE ERREIGNISSE AB?

1918-1933: SEIT ENDE DES 1. WELTKRIEGES BIS ZUR MACHTERGREIFUNG DER NAZIS

Unter dem autoritären Regime in Ungarn, Rumänien und Polen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen in Wort und Tat sowie zum Erlass von Bestimmungen, welche die Juden stark benachteiligten. In der UDSSR wurden einerseits jüdische Organisationen verboten, anderseits die Autonome Jüdische Republik Biro-Bidjan, am Amur Fluss (an der Grenze zu China und Korea), gegründet. Dies machte es möglich, die Juden in der Ukraine, in Weißrussland und im europäischen Teil der Sowjetunion erst als Angehörige der jüdischen Nationalität zu registrieren und dann zu benachteiligen.

 
In Deutschland musste sich die Weimarer Republik auf reaktionäre Offiziere und Beamte verlassen, die die neuen demokratischen Prinzipien ablehnten. Im Jahre 1923 kam es erfolglos zum bewaffneten Aufstand der Nazis in München, welcher aber zum Zulauf fast aller Rechtsradikaler führte. Im Jahre 1925 wurde der greise Feldmarschall Hindenburg von einer revanchistischen Wählermehrheit zum Reichspräsidenten gewählt; ein kaum beachtetes Signal. Auch die Beschlüsse der NSDAP an den Parteitagen von 1925 und 1926, die Juden aus den täglichen Leben in Deutschland auszuschließen, und das in Hitlers Buch „Mein Kampf“ (1925/26) ziemlich deutlich ausgedrückte Rassenprogramm wurden nicht als gefährliche Vorzeichen wahrgenommen.

1928 kam aber die NSDAP mit 12 Mandaten in den Reichstag, 1929 in die Landesregierung von Thüringen und dann in verschiedenen Ländern in den jeweiligen Landtag. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 sicherte der NSDAP einen steigenden Zulauf: im Reichstag gab es 107 Mandate (1930) und 230 in Juli 1932. Damit war die NSDAP auch die stärkste Fraktion im Landtag von Preußen, das das größte Land im Deutschen Reich war.

So waren bereits im Juli 1932 die Träger der drei höchsten Ämter Personen, die die demokratischen Prinzipien der Verfassung ablehnten: Göring (Präsident des Reichstages), von Hindenburg (Reichspräsident), von Papen (Reichskanzler), der als Reichskommissar für das Land Preußen die Landesregierung entmachtete und die Landespolizei der Reichswehr unterstellte. Die Sozialdemokraten waren der Lage nicht gewachsen, und die bürgerlichen Parteien glaubten, mit der NSDAP verhandeln zu können. Der Weg führte gerade zur „Machtergreifung“.

 

1933-1939 - VON DER MACHTERGREIFUNG ZUM 2. WELTKRIEG

Nach monatelangen Intrigen ernannte Reichspräsident von Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Bei den Wahlen vom 5. März war die NSDAP - dank einer von den Industriellen finanzierten Propaganda - die stärkste Fraktion im Reichstag und hatte mit einigen Verbündeten die Mehrheit. Am 23. März 1933 beschloss der neugewählte Reichstag das „Ermächtigungsgesetz", auch mit den Stimmen der klerikalen Zentrumspartei. Die Anwesenheit der Sozialdemokraten verlieh der Sitzung Gültigkeit für Verfassungsänderungen. So wurde die Naziherrschaft nach den „demokratischen Spielregeln" beschlossen, und Bestimmungen gegen Juden - und andere Gegner - erhielten dadurch den Anschein von Legitimation. Die Nationalsozialisten galten nun in Deutschland als rechtsmäßige Machthaber. Der Besuch in Berlin des ungarischen Regierungschefs Gyula Gömbös von Jákfa und das Reichskonkordat mit der Katholischen Kirche gewährten den Nazis die internationale Anerkennung. Die „Gesetze" und „Aktionen" gegen die Juden wurden so zu „inneren Angelegenheiten" des Deutschen Reichen.

Jetzt wurden die Juden boykottiert und von immer mehr Stellen und Berufen ausgeschlossen. Seit den „Nürnberger Gesetzen" von 1935 galten die Juden nicht als „Reichsbürger“, sondern nur noch als „Reichsangehörige“. Ehen oder sonstige Beziehungen mit „Ariern" wurden verboten. Wachsende Gewalttaten bis zu der „Reichskristallnacht" mit großen Zerstörungen und vielen Verhaftungen folgten unmittelbar. Mit der Enteignung der letzten kleinen, jüdischen Betriebe wurden die Juden aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet. Die letzten jüdischen Organisationen waren aufzulösen.

Nach dem Vorbild des „Gulag-System" der UdSSR entstand ein Netz von Konzentrationslagern, bewacht und verwaltet von der SS, die sich inzwischen zum Staat im Staat entwickelt hatte und mit ihren Einheiten zur „Parallelarmee“ wurde. Kontakte der Nazis mit arabischen Nationalisten wurden gefördert. In Palästina beschränkte die Mandatsmacht Großbritannien die jüdische Einwanderung. In Polen ereigneten sich immer mehr Gewalttaten, und die Klerikalen forderten den Ausschluss der Juden aus den staatlichen Schulen. Die Regierung griff stark in die Verwaltung der jüdischen Gemeinden ein.

Bereits polnische Nationalisten planten die Aussiedlung einer Million Juden nach Madagaskar. Ähnliche Pläne gab es bald auch im Deutschen Reich, was von der französischen Regierung abgelehnt wurde. Den ständig im Ausland lebenden Juden sprach man 1938 grundsätzlich die Staats- und Reichsbürgerschaft ab. Auch in Rumänien gab es viele Gewalttaten und erste Berufsbeschränkungen gegen Juden; vielen wurde auch dort die Staatsbürgerschaft entzogen oder nicht gewährt.
„Judengesetze" in Ungarn, Italien und der Slowakei folgten. In der Konferenz von Evian am Genfer See stritten die nicht-deutschen Länder in Europa und Übersee über Quoten und über eventuelle Auswanderungsmöglichkeiten der Juden. Einige diplomatischen Delegierte meinten sarkastisch: Wir haben kein Judenproblem und wollen es nicht einführen". Aber immer mehr Juden mussten auswandern, hatten dazu jedoch keine Möglichkeit.

 

1939-1941 DEUTSCHER BLITZKRIEG UND VORMARSCH

Der Freundschaft- und Nichtangriffspakt mit der UDSSR ermöglichte dem Deutschen Reich am 1. September 1939 den Angriff auf Polen, womit der 2. Weltkrieg und die eigentliche Shoah ausgelöst wurden. Die kommunistischen Parteien passten sich der Politik der UDSSR an.

Polen wurde in nur drei Wochen besiegt und zwischen Deutschland und den Russen aufgeteilt. Auf der deutschen Seite begannen die systematischen Gewalttaten und die Konzentrierung der jüdischen Bevölkerung in Städten, wo sie in den Ghettos für die Deportation und die Shoah gesammelt wurde. Überfüllung, Hunger und Seuchen führten meist schon vorher zu einer wachsenden Sterberate.

Nach den deutschen Angriffen von 1940, im Westen und Norden, dehnte sich die Verfolgung auf die jüdische Gemeinden in Holland, Belgien, Frankreich, Dänenmark und Norwegen aus. Auch Gewalttaten mit Todesopfern in Rumänien. Verschärfung der „Judengesetze" in Ungarn, Rumänien, Bulgarien. Mit den deutschen Angriffen vom April 1941 auf Jugoslawien und Griechenland kamen auch die dortigen jüdische Gemeinden unter die Naziherrschaft.

Im Irak, anlässlich eines prodeutschen Staatsstreiches (Mai 1941), gab es Pogrome gegen die dortigen jüdischen Nachbarn. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion (Juni 1941) dehnte sich in wenigen Monaten die Verfolgung auf Ost-Polen, Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland und die Ukraine aus. Massenmorde wurden so von den „Einsatzgruppen" (SS und Angehörige spezieller Polizeieinheiten) wie auch von ungarischen und rumänischen Einheiten und lokalen Milizen verübt. Ghettos wurden in den besetzten Gebieten eingerichtet. Viele rumänische Juden wurden in den von Rumänien besetzten Teil der Ukraine (Transnistrien) deportiert, wo schlechte Lebensbedingungen zu einer hohen Sterberate führten.

In Deutschland wurde in Dezember 1939 das Reichssicherheits- Hauptamt (RSHA), geleitet von Reinhard Heydrich, geschaffen. Die Führung von SS und Polizei legte man zusammen. Die Abteilung IV/B/4, geleitet von Adolf Eichmann, war für Juden zuständig. Erste Deportationen nach dem Osten machten eine offizielle Auswanderung unmöglich. Im März 1941 wurde die jüdische Auswanderung beschränkt und dann wegen der Kriegslage verboten.

Am 31. Juli 1941 erhielt Heydrich den formellen Befehl für die „Endlösung der Judenfrage". Am 1. September 1941 musste der berüchtigte „Gelbe Stern“ getragen werden. Ab Oktober 1941 begannen die Deportationen aus Deutschland, Böhmen und Mähren sowie Wien.

 

1941-1945 VOM KRIEGSEINTRITT DER USA ZUR DEUTSCHER KAPITULATION

Mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor wurden die USA in den 2. Weltkrieg hineingezogen, was für das Deutsche Reich den „Zwei-Fronten Krieg" bedeutete. Da sich der japanische Angriff auf die USA und andere westliche Kolonien in Asien und die Pazifikregion richtete, konnte die Sowjetunion Truppen aus Sibirien abziehen und so gegen die deutschen Aggressoren einsetzen. Tatsächlich kam der deutsche Angriff vor Moskau und Leningrad/Petersburg zum Erliegen.

Jetzt schien der Endsieg nicht mehr so sicher. Dennoch beschlossen die Führer vom RSHA und Vertreter verschiedener Ministerien auf der Wannseekonferenz (Berlin) am 20. Januar 1942, die „Endlösung der Judenfrage" zu beschleunigen und präzise Richtlinien für die „Erfassung" und Deportierung“ festzusetzen. Die semantische Formulierung „Umsiedlung" betraf nun die Juden aus ganz Europa. Das Problem der Mischehen und der „Mischlinge" wurde gründlich debattiert. Für den Massenmord galt die Sprachregelung „Sonderbehandlung". Die Vernichtungslager – z.B. Sobibor, Chelmo, Majdanek, Treblinka - mit Gaskammern und Krematorien wurden an Standorten mit guten Bahnverbindungen errichtet.

Im Konzentrationslager Auschwitz entstand die Abteilung Birkenau als Vernichtungslager. Für einige Fälle waren mobile Gaswagen - Gaskammern auf Kraftwagen - bereit.

Der Zeitplan der Deportationen richtete sich nach der Anzahl der zu Verfügung stehenden Eisenbahnkapazitäten. Für Juden mit besonderen Beziehungen zu Deutschland oder zum Ausland wurde das Musterghetto Theresienstadt eingerichtet. Für Juden, die einen ausländischen Schutzvermerk besaßen oder die mit im Ausland internierten Deutschen ausgetauscht werden konnten, wurde das Austauschlager Bergen-Belsen eingerichtet. In den besetzten Ländern und einigen verbündeten Staaten wurde zuerst der „Gelbe Stern“ eingeführt, und kurz danach begannen die Transporte nach dem „Osten". Die Ghettos wurden allmählich aufgelöst; ihre Insassen, bis auf wenige, wurden zur Zwangsarbeit verschickt. Sie waren „arbeitsfähig". Im Zuge der Auflösung wurden auch Massenmorde verübt. In der Zeit von Januar bis April 1945 kam es zu den berüchtigten „Todesmärschen“, da die Deutschen keine Juden den jeweiligen Befreiern überlassen wollten.

Nur in wenigen Konzentrationslagern wurden noch einige jüdische Häftlinge von der Roten Armee und den anglo-amerikanischen Truppen befreit. Das Internationale Rote Kreuz konnte erst in den letzten Wochen helfen. Bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 übte das Dritte Reich als Nazi- Regime seine Macht aus..

 

WER WAREN DIE OPFER, DIE TÄTER UND ZUSCHAUER?

1. DIE OPFER

a. Mitglieder der jüdischen Gemeinden sowie Personen, die sich mit dem Austritt als konfessionslos bezeichneten oder zu einer christlichen Kirche konvertiert waren.

b. Alle jüdischen Verwandten und Nachkommen. In Deutschland war die Zahl der jüdischen Grosseltern entscheidend, ob man als Mischling ersten Grades oder zweiten Grades eingestuft wurde.

c. Partner in Mischehen. In Deutschland wurden die nicht als Juden geltenden Partner zur Scheidung aufgefordert; im Osten teilten sie das jüdische Schicksal.

 

2. DIE TÄTER

a. Erst die SA (Sturmabteilung) und dann die SS. Dem Reichsicherheitshauptamt waren Gestapo, Kripo (Kriminalpolizei), Orpo (Ordnungspolizei), SD (Sicherheitsdienst der SS mit der Abteilung IV/B/IV, geleitet von Eichmann) unterstellt. Die Konzentrationslager unterstanden dem Wirtschafthauptamt der SS.

b. Verschiedene Parteimilizen oder Hilfsmilizen in verbündeten und besetzten Ländern.

c. Wehrmachtseinheiten sowie ungarische und rumänische Armeeeinheiten. Das Oberkommando der Wehrmacht forderte in einigen Fällen die Beschleunigung der Deportationen.

d. Polizeiämter für die Erfassung und Aushebung und Polizeieinheiten als Eskorte.

e. Beamte und Richter, die besonders eifrig die „Bestimmungen" ausarbeiteten und handhabten.

f. Intellektuelle und Künstler, die sich in Wort, Schrift oder in anderer Form an der Hasspropaganda beteiligten.

 

3. DIE ZEITZEUGEN: „BÖSWILLLGE ZEITGENOSSEN“

a. Diejenigen, die in den Jahren der Finsternis in Sicherheit oder zur Hilfeleistung angeblich unfähig waren, aber dann den „Mut" hatten zu fragen: „Warum habt ihr keinen Widerstand geleistet?" Solche Menschen verunglimpften die wenigen Überlebenden.

b. Wer in jenen Jahren eine mögliche Hilfe verweigerte und dann mit den Wölfen  heulte.

c. Wer die Gelegenheit zur Bereicherung nutzte und dann fragte: „Ah, du bist  wieder da?"

d. Wer bei den verschiedenen Phasen der Verfolgung Schadenfreude zeigte oder den Tätern mit Hinweisen diente.

 

HILFSBEREITE ZEITZEUGEN:

e. Wer in verschiedener Form, dank der eigenen Stellung im „System", helfend einsprang und so die Rettung vieler oder einzelner bewirkte. Viele hatten ihre Hilfsbereitschaft mit den Leben bezahlt oder wurden bestraft. Viele wurden für ihre Hilfe geehrt.

f. Wer den Flüchtenden erkannte, aber den Mut hatte zu schweigen.

Einige Persönlichkeiten, obwohl selber in bedrohlicher Situation, setzten ihr Prestige ein, um zu helfen: König Christian X. von Dänenmark und die Königinmutter Elisabeth von Belgien setzten sich bei den deutschen Besatzungskommandos für die Juden ein. König Mohamed V. von Marokko protestierte beim französischen Präsidenten der Vichy Regierung gegen die Absicht, den „Gelben Stern“ einzuführen. Einen besonderen Fall stellt ein Mitglied des Schweizer Bundesrates, Jean Marie Musy, dar, der, vom Verband der orthodoxen Rabbiner von USA und Kanada gebeten, seine Verbindungen zum Dritten Reich für die noch lebenden Juden einsetzte. In Budapest wirkten der italienische Kaufmann Perlasca. Nicht vergessen werden soll auch nicht der schwedische Diplomat Wallenberg......

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Zeugen des Holocaust in Riga, Bergen-Belsen und Auschwitz

Massengrab

Religiöses Leben der Kölner Juden im Ghetto von Riga

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Ein wichtiges Buch von Hetty E. Verolme: „Wir Kinder von Bergen-Belsen“

Schlomo Samson, ein bedeutender Zeitzeuge für das „Inferno von Bergen-Belsen“

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