Formen der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit
in unserer Region

von Hans-Dieter Arntz
13.09.2010

Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wollte man hierfür methodisch und didaktisch ein „Wortfeld“ erarbeiten, so könnten u.a. folgende Verben alternativ zur Aktivität aufrufen: aufmerksam machen, eindringlich erinnern, einschärfen, ermahnen, aufrufen, aufrütteln, ins Gewissen reden, appellieren, auffordern, beschwören, beweisen...

 

Punkrock

 

Fassen wir auch nach Jahrzehnten zusammen: Jegliche Form der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ist eine spezielle Form des Mahnens und somit die Realisierung des Imperativs „Mahn mal“!! Auch alltägliche Aktivitäten in unserer Region sollen im Betrachter Betroffenheit erzeugen und das Erinnern über die Generationen hinweg tradieren. In jüngster Zeit gab es hierfür in Euskirchen, Zülpich, Zülpich-Hoven, Mechernich und Bad Münstereifel-Eschweiler unterschiedliche Beispiele:

1. Euskirchen

Zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus hatte der alternative Kunstverein „Art Eifel“ zusammen mit den Linken, den Grünen und der Antifa eine Demonstration gegen Rechts auf die Beine gestellt. In Begleitung von Polizisten von Euskirchen und Aachen zogen die Demonstranten vom Bahnhofsvorplatz durch das Stadtzentrum zum Gardebrunnen. Während einer dort stattfindenden Kundgebung warnten das IG-Metall-Mitglied Barthel Rankers und Nathalie Konias von den Grünen vor dem Faschismus. Im alten Casino standen Vorträge auf dem Programm. Zu den Zuhörern zählte u.a. die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Der Aachener Journalist Michael Klarmann sprach über die rechte Szene im Allgemeinen und speziell über rechtsextreme Umtriebe in Euskirchen. Hans-Peter Killgus von der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt Köln listete aktuelles Geschehen auf. Den Abschluss des Aktionstages in Euskirchen bildeten Konzerte des Mechernicher Hip-Hop-Duos „Slo-Mo“, der Bands „Sancho Panza“ und „Tpunktterror“, der Kölner Pop-Punk-Band „Herr König“ und der Metal-Band „Schwarzlicht“.

2. Zülpich

Der Dürener Peter Schumacher, der 76jährige Ewald Lenzen aus der Vulkaneifel und Matthias Kurth (70) aus Inden radelten im Sommer 2010 etwa 1400 Kilometer nach Auschwitz, um sich mit dieser „Tour der Hoffnung“ nicht nur persönlich und sehr bewegt „ein Bild von den dort verübten Gräueltaten zu machen“, sondern um gleichzeitig ein gutes Werk zu tun: eine Summe in Höhe 7.262 Euro kam für diese öffentlichkeitswirksame Radtour zusammen, die für einen guten Zweck gespendet wurde. Die Bürgermeister Albert Bergmann (Zülpich) und Paul Larue (Düren) unterstützten die Aktion als Schirmherren nach Kräften. Firmen und Privatleute aus der Region zählten zu den Sponsoren. Das Geld wird nun jeweils zur Hälfte den Lebenshilfe-Heimen für behinderte Kinder in Bürvenich und Schmidtheim (beide im Kreis Euskirchen) zugute kommen.

3. Zülpich-Hoven

Zur Erinnerung an 368 Patientinnen der heutigen Fachklinik für Psychiatrie Marienborn, die am 18. August 1942 den Transport von Hoven in das Vernichtungslager Hadamar antreten mussten und dort ermordet wurden, wurde im August 2010 ein Mahnmal errichtet. 68 Jahre danach erinnert nun eine Stele auf dem Grundstück des ehemaligen Klosters an dieses Verbrechen. Das Werk der Künstlerin Luise Kött-Gärtner, die in Bürvenich lebt und in Heimbach ein Atelier hat, wurde in Anwesenheit von etwa 200 Gästen enthüllt. Die Pflegedienstleiterin und Öffentlichkeitsbeauftragte der Klinik, Rosemarie Simonis, die als Initiatorin der Gedenkstätte gilt, betonte in ihrer Ansprache, dass es in der Verantwortung aller liege, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, auch im Hinblick darauf, „wie wir in Zukunft mit psychisch kranken Menschen umgehen.“

Als „Irre“ galt in der damaligen Sprache des Unmenschen „unwertes Leben“. Die psychisch Kranken wurden durch spezielle Erlasse in das Euthanasie-Programm aufgenommen. Dieser verharmlosende Begriff als „Gnadentod“ war aber ein Teil des nationalsozialistischen Massenmordes.

4. Mechernich

Mechernich MahnmalAls einzige Stadt der Region hat Mechernich einen Mahnstein, der an ermordete Zwangsarbeiter erinnert. Die Stadt Mechernich gedachte im November 2009 in einer neueren Form ihrer Opfer von Verfolgung und Gewaltherrschaft während der Nazidiktatur. Wie ich bereits in meinem Online-Artikel zum 71. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ berichtete, fand am Sonntag, dem 8. November, im Kernort ein GEDENKGANG statt, der an drei „Stationen“ der Mechernicher erinnerte, die durch Verfolgung und Gewalt im Dritten Reich umkamen.

Als erste Station diente der neue Gedenkstein in der Marienau, der an Kriegsgefangene und Zwangsarbei­ter erinnert, die im Zweiten Weltkrieg am Bleiberg ums Leben kamen. Der Stein steht an der Stelle, an der im November 1944 ohne Gerichtsurteil eine junge ukrainische Zwangsarbeiterin wegen angeblichen Plünderns erhängt wurde. Er erinnert auch an zwölf weitere Zwangsarbeiter, die während des Krieges in Me­chernich ermordet wurden. Somit gedachte man in diesem Jahr besonders der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter sowie der Opfer der Euthanasie. Insofern standen erstmals nicht nur der Ereignisse während des Novemberpogroms in Mechernich und der „Reichskristallnacht“ in der Region im Vordergrund, sondern auch die polnischen und sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Mechernich umgekommen waren.

5. Bad Münstereifel-Eschweiler

Um auch exemplarisch auf den Tod der Zwangsarbeiters hinzuweisen, erinnert die Bevölkerung des Dorfes Eschweiler zurzeit mit mehreren Aktivitäten an die Ermordung des Polen Bronislaw Sygula (geb. 1922 in Newa Wics). Durch meine Publikationen und Vorträge konnte ich seit etwa 15 Jahren auch auf diese Thematik aufmerksam machen. Aber es war Laurenz Schäfer (geb.1945) aus Bad Münstereifel-Arloff, der die Initiative ergriff und für die Errichtung eines Gedenkkreuzes in Eschweiler initiierte. Die Verantwortlichen der katholischen Gemeinde St. Margareta Eschweiler laden zudem zu einem Gedenkgottesdienst ein, der am Sonntag (19. 09.2010) um 14 Uhr an Bronislaw Sygula erinnern soll.

Mithilfe des Bonner Stadtmuseums konnte herausgefunden werden, dass sieben polnische Zwangsarbeiter in Eschweiler eingesetzt worden waren, um die männliche Bevölkerung, die zum Kriegsdienst eingezogen worden war, in der Landwirtschaft zu ersetzen. Die entsprechenden „Polenerlasse“ reglementierten ihren Aufenthalt. Der intensive Kontakt von Bronislaw Sygula zu einem Mädchen aus dem Eschweiler Tal wurde von einem Einheimischen gesehen und der Gestapo gemeldet. Der Redakteur Günter Hochgürtel von der Euskirchener Lokalausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers, fasste den Sachverhalt am 7. September 2010 zusammen:

Pfarrer Dr. Schenk schrieb da­mals in der Pfarrchronik: „Am 27. März wurde ein Pole, der hier bei einer Familie tätig war, mor­gens um halb 9 Uhr im Eschwei­ler Tal am Steinbruch von der Staatspolizei erhängt, nach einer Haftzeit von geht Monaten in Bonn." Andere polnische Zwangsarbeiter mussten der Hin­richtung aus Gründen der Ab­schreckung beiwohnen. Sygulas Leiche wurde anschließend nach Bonn in die Medizinische Fakul­tät gebracht und dort etwa ein Jahr lang für Forschungszwecke missbraucht. Wo der Ermordete seine letzte Ruhestätte fand, ist nicht hundertprozentig belegt.

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