Die „Hohen Feiertage“  im jüdischen Kalender –
Erinnerung an das einstige Gemeindeleben von Münstereifel

von Hans-Dieter Arntz
19.09.2009

Die wichtigen Feiertage Rosch Haschana und Jom Kippur fallen in den Monat Tischri. Es handelt sich um ernste Festtage, die von einer gemeinsamen, ihnen eigenen Atmosphäre beherrscht werden. Der Monat Ellul, der den Hohen Feiertagen vorangeht, dient der seelischen Vorbereitung und stellt an den gläubigen Juden gewisse Anforderungen.

Das jüdische Jahr

haGalil ist weltweit die größte Website für jüdische Themen in deutscher Sprache. Natürlich antwortet sie auch auf die grundsätzliche Frage:  Was ist eigentlich ein Feiertag?

Am 19./20. September wird von den Juden das Neujahrsfest (Rosch Haschana) und am 28. September 2009 der Versöhnungstag (Jom Kippur) gefeiert. Den jüdischen Lesern der regionalhistorischen Homepage wünsche ich mit den beiden Abbildungen besinnliche Fest- und Feiertage.

Rosch Haschana 5770

Rosch Haschana 5770 (Bild 1)   Rosch Haschana 5770 (Bild 2)

 

Es gibt nur wenige Berichte, die sich mit dem Thema „Hohe Feiertage“ in der Region der Eifel und Voreifel befassen. Insofern könnte mein  Online-Artikel Prof. Dr. Joseph Walk vom Leo Baeck Institut in Jerusalem erinnert sich an die jüdische Gemeinde von Bad Münstereifel  von regionalhistorischem Interesse sein, weil es hier um die Gestaltung der „Hohen Feiertage in Münstereifel“ (1932) geht:

 

Synagoge in der Orchheimerstraße   Synagoge in der Orchheimerstraße

Die Synagoge in der Orchheimerstraße von Bad Münstereifel (1932). Rechts davon das ehemalige Kaufhaus Simon Wolff. (Repros: Kolvenbach und Arntz)

 

Auf der 1. Etage des linken Fachwerkhauses befand sich bis 1938 die Synagoge von Münstereifel

 

 

Nur wenige Wochen vor der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten stieg der jüdische Junglehrer Joseph Walk (1914-2005) in Münstereifel aus der Eisenbahn, um seiner ersten liturgischen Verpflichtung als Vorbeter nachzukommen. Jahrzehnte später war er Direktor des berühmten Leo Baeck Instituts in Jerusalem, einer unabhängigen Einrichtung zur Dokumentation und Erforschung jüdischer Geschichte und Kultur in den deutschsprachigen Ländern mit Standorten in Jerusalem, London und New York. Im „Mitteilungsblatt des Irgun olei Maokan Europa“, Jg. 59, Nr.71, Juli/August 1991, S.3 erinnert er sich an die „Hohen Feiertage in Münstereifel“.

Seine „Reminiszenz an Rosch Haschana 5693 (1932)“ bezieht sich auf das jüdische Neujahrsfest im Eifelstädtchen Münstereifel. An „Rosch ha-Schanah“ beginnen die zehn Yamin Noraim (hebräisch „ehrfurchtsvolle Tage“), die mit dem Versöhnungsfest Jom Kippur enden. Grundsätzlich soll darauf hingewiesen werden, dass das Reformjudentum, der liberalste Teil des Judentums, generell nur den ersten Tag des Festes feiert. Orthodoxes und Konservatives Judentum respektiert sowohl den ersten wie auch einen zweiten Feiertag.  
Es folgt ein Auszug aus dem Text von Joseph Walk, der auch schon 2008 in meinem Buch „REICHSKRISTALLNACHT“. Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande publiziert wurde:


„Sargenes ist vorhanden"
Eine Reminiszenz an Rosch Haschana 5693 (1932) in Bad Münstereifel

 

Im Jahr 1932, dem letzten Jahr der veren­denden Weimarer Republik, erhielt ich meine Ausbildung als Volksschul- und Religionslehrer am Jüdischen Lehrerseminar in Köln. Zu den Obliegenheiten eines jüdischen Lehrers gehörte auch - vorausgesetzt dass er eine Stelle in einer kleinen Landgemeinde antrat, die Funktion des Vorbeters. So wurden wir mit der Liturgie des jüdischen Jahres vertraut gemacht und noch vor Abschluss unserer Studien für fähig erachtet, an den Hohen Feiertagen das Amt des Vorbeters in einer Landgemeinde zu übernehmen.

Kurz vor Rosch Haschana erhielt auch ich, auf Empfehlung des Seminardirektors, eine offizielle Einladung, an den „Jomim Noroim" in Bad Münstereifel, unweit von Köln, vorzubeten. Die für diese Tätigkeit ausgesetzten 60 Mark entsprachen ungefähr meinen monatlichen Unterhaltskosten, die ich damals nur schwer aufbringen konnte.

Die vom Vorsitzenden der Gemeinde, Andreas Kaufmann, unterschriebene Karte enthielt aber  noch einen mysteriösen Satz: „Sargenes ist vorhanden". Dieses Wort war mir als in Ostdeutschland aufgewachsenem Kandidaten vollkommen fremd. Frau Rabbiner Carlebach  klärte mich auf: „Sargenes ist der im Rheinland übliche Begriff für „Kittel“, das Sterbegewand, das der Vorbeter an den Hohen Feiertagen anzulegen hat. In dieser Hinsicht konnte ich also beruhigt sein.

Doch das mir so fremd klingende Wort verst ärkte in mir die Befürchtung, ob ich, an die Niggunim   meiner Breslauer Synagoge ge­wöhnt, den Erwartungen der Eifeler Juden gerecht werden könnte, zumal auch der westdeutsche Ritus von dem östlichen erheblich abwich. Bangen Herzens traf ich am Erew Rosch Haschana auf dem Bahnhof in Münstereifel ein, wo mich der Gemeindevorsteher, ein breitschultriger, kräftiger Viehhändler, erwartete. Nachdem ich mich von seiner jovialen Begrüßung erholt hatte - er klopfte mir wohlwollend auf die Schulter, begaben wir uns auf den Weg zu dem im zweiten Stockwerk eines Wohnhauses gele­genen Betraum, der der kleinen Gemeinde (48 Seelen) als Synagoge diente.

Synagoge in der Orchheimerstraße

Andreas Kaufmann wurde in der „Kristallnacht“ (10.11.1938) verhaftet
und nach Köln-Brauweiler gebracht.
1939 konnte er mit seiner Familie nach England und dann in die USA
auswandern.

Zu meiner großen Erleichterung fragte mich mein Begleiter, ob ich vielleicht bereit wäre, das Mussafgebet an zwei ältere, angesehene Mitglie­der der Gemeinde abzutreten und mich mit Maariw und Schacharit zu begnügen. Und ob es mir andererseits möglich wäre, einer Aufforderung des Preußischen Landesverbandes Jüdischer Gemeinden nachzukommen und in meiner Predigt den Reichspräsidenten Hindenburg zu seinem 85. Geburtstag, der auf den zweiten Tag Rosch Haschana fiel, gebührend zu würdigen. Ich bejahte. Noch vor dem Maariwgebet wurde ich von den vollzählig erschienenen männlichen Mitgliedern der Gemeinde herzlich begrüßt, so dass ich meine anfängliche Scheu überwinden konnte. Zu den Mahlzeiten war ich bei dem Gemeindevorstehereingeladen, begnügte mich aber lieber mit meiner eigenen Kost, da ich mich auf die Kaschrut meiner Gastgeber nicht verlassen konnte, was aber unseren freundschaftlichen Beziehungen keinen Abbruch tat.
Endlich war ich dann nachts in dem kleinen, sauberen Zimmer eines Gasthofes mit mir allein. Meine Gedanken hingen zun ächst dem elterlichen Haus und dem mir vertrauten Gottesdienst unserer Breslauer konservativen Synagoge nach. Doch nach wenigen Minuten gab ich mich dem beruhigenden Rieseln des Baches hin, der unter meinem Fenster dahin floss. Die innere Ruhe und Sicherheit, die mich überkamen, spiegelten mir und meinen Zuhörern in den folgenden zwei Tagen eine äußere Ruhe und Sicherheit vor, die mir die Worte für meine durchaus ehrlich gemeinte Würdigung des von uns Ju­den damals noch hochgeachteten Reichsprä­sidenten eingaben. Mit dem „Sargenes" angetan, erfüllte ich also die übernommene Verpflichtung, vorzubeten und zu predigen.

In dem mir sp äter vom Vorsteher der jüdischen Gemeinde Münstereifel ausgestellten Zeugnis bestätigt Andreas Kaufmann, dass ich „als Vorbeter und Prediger" tätig war. „Wir waren mit ihm sehr zufrieden."

Ich vermute, dass auch ich selbst mit mir zufrieden war und nehme mit Gewissheit an, dass die Beter und Zuhörer mit sich zufrieden waren. Wer konnte schon damals ahnen, dass nur wenige Monate später, am 1. April 1933 die jüdischen Kaufleute und Viehhändler of­fiziell boykottiert und ihre wenigen verblie­benen Kunden an den Pranger gestellt würden?

Den fünf Jahre später organisierten Pogrom, die sogenannte „Kristallnacht" in Münstereifel dokumentiert  der nichtjüdische Chronist wie folgt  (Vgl. Hans- Dieter Arntz: JUDAICA -  Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983):

Die Geschäftshäuser von Hugo Wolff, Carl und Oskar Nathan sowie die Wohnungen von Andreas Kaufmann und Adolf Wolff waren die Ziele der Zerstörungswut (…). Fast die gesamte Wohnungseinrichtung von Andreas Kaufmann (…) wurde von Münstereifelern in die schmale Erft, den Dorfbach, geworfen.

Zwei Seiten später heißt es:
Die Synagoge an der Orchheimerstraße wurde geschändet. Zu weiteren Brandstiftungen kam es nicht, weil man mit Recht eine Gefahr für die ganze Stadt befürchtete.

Die Täterliste enthält die Namen von 13 Einheimischen, die wahrscheinlich im Herbst 1932 noch ihre jüdischen Nachbarn zu ihren Feiertagen beglückwünscht hatten. Jetzt, im Jahre 1938, vergriffen sie sich an den heiligen Kultgegenständen, und sicher fiel ihnen der „Sargenes" in die Hände.

Dem in der Pogromnacht verhafteten Andreas Kaufmann gelang es noch 1939, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Andere Mitglieder der Gemeinde endeten 1942 in den Gaskammern, ein Tod ohne Grab, und ohne „Sargenes".

Im Sommer 1981 stand ich dann wieder in Münstereifel - vor dem Wohnhaus auf der Orchheimerstraße, mit seinem Betsaal, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben vorgebetet hatte. Nur eine kleine, kaum sichtbare Tafel erinnert daran, dass sich hier einstmals eine Synagoge befand, in der ein „Sargenes" vorhanden war. Wenige Wochen später stand ich in Jerusalem am Rosch Haschana, mit dem „Kittel" bekleidet, im Gebet. Eingedenk des Geschehens und Geschehenen durfte ich mich als glücklich preisen: „Sargenes ist vorhanden."

Zugleich aber ging mir auf, dass diese Worte auch die an uns alle gerichtete Mahnung enthalten, dass am Rosch Haschana entschieden wird, „wer zum Leben und wer zum Tode" eingeschrieben wird. Sie rufen uns warnend ins Gedächtnis: „Sargenes ist vorhanden."

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