Advent und Weihnachten im Nationalsozialismus

2. Teil: Nationalsozialistische Weihnachten – Fest- und Feiergestaltung der „Deutschen Weihnacht“

von Amrei Arntz
29.12.2009

Anmerkung

Die in Bad Neuenahr unterrichtende Lehrerin Amrei Arntz, die seit Jahren auch an der Recherche für diese regionalhistorische Homepage beteiligt ist, hat sich selber in der letzten Zeit mit den festtheoretischen Perspektiven im Dritten Reich befasst. Passend zu Weihnachten sollen Teile aus einem Manuskript publiziert werden, das sich mit der „Umfunktionierung“ des Advents- und Weihnachtsfestes in der Zeit des Nationalsozialismus befasst. Da ihre historische Darstellung insgesamt noch nicht

Amrei Arntz

Amrei Arntz
(Foto: mediakustik)

abgeschlossen ist, wird aus medienrechtlichen Gründen bewusst auf den Ausdruck der vielen Fußnoten verzichtet. Außerdem entfallen zur besseren Lesbarkeit die wissenschaftstheoretischen Exkurse sowie die vorgesehene Gliederung. Diesem 2. Teil ging bereits der Artikel Festtheoretische Perspektiven im Dritten Reich voraus.

Grundsätzlich geht es in der zweiteiligen Darstellung, wie Symbolik und Metapher sowie die Art der Feste und Feiern eine neue Sinngestaltung erhielten. Amrei Arntz zeigt auch im 2. Teil ihrer Ausführungen, wie die „Deutsche Weihnacht“ in der Zeit 1933-1944 interpretiert wurde.

Zur Autorin:
Amrei Arntz, geb. am 13. Dezember 1979 in Bonn, Abitur am St.-Michael-Gymnasium Bad Münstereifel 1999, Studium in Koblenz und Sunderland/England, 1. Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen 2004, 2. Staatsprüfung März 2006, seitdem Lehrerin an der Grundschule Bad Neuenahr.

H.-D. A.


Advent und Weihnachten im Nationalsozialismus

2. Teil: Nationalsozialistische Weihnachten – Fest- und Feiergestaltung der

„Deutschen Weihnacht“

von Amrei Arntz

 

Auch der 2. Teil der Darstellung, wie Advent und Weihnachten im Nationalsozialismus „umfunktioniert“ wurden, soll bestätigen, dass auch sie als Bräuche und Sitten einem historischen Wandel unterliegen. Diesbezügliche Riten sind auch einstudierte „Angewohnheiten“, die einen Bezug zur Gemeinschaft haben: „Brauchtum ist gemeinschaftliches Handeln, durch Tradition bewahrt, von der Sitte gefordert, in Formen geprägt, mit Formen gesteigert, ein Inneres sinnbildlich auszudrücken, funktionell an Zeit oder Situation gebunden.“ (113) Diese Ziele wollte der Nationalsozialismus ab 1933 realisieren.

Bräuche verändern und entwickeln sich. Offenbar bestimmt auch die jeweilige historische und politische Situation ihre Sinngebung in bedeutsamer Form. Das beweist die Fest- und Feiergestaltung der „Deutschen Weihnacht“ und bestätigt die Erkenntnis: Je lebendiger ein Brauch, desto eher und bewusster kann er bei politischer Indoktrination verändert und „angepasst“ werden.

Folgendes Beispiel beweist, dass durch die NS-Didaktik krampfhaft ein mythologischer Bezug zum heidnischen Germanentum gesucht wurde. Selbst den Nikolaus wollte sie umdeuten:

(…) und jener heilige Mann, der da seinen Schimmel unter den Tisch setzen soll, dem man auch wohl die mit Heu und Hafer gefüllten Stiefel und Schuhe vor die Türe setzt, - er ist ja nichts anderes als Wodan, der Göttervater, der in dieser Gestalt seine Unsterblichkeit gerettet hat.(169)

In seinem Buch „Kirche im Krieg" weist Günter Brakelmann daraufhin, dass der Totali­tätsanspruch der nationalsozialistischen Weltanschauung mit der christlichen Ethik und Religion in Konflikt geraten musste. Das NS-Schulungs- und Bildungssystem verfolgte einen klaren Konfrontationskurs gegen christlich- kirchliche Interpretationen in Dogmatik, Anthropologie und Ethik (145). Insofern wäre zu erwarten, dass Advent als „Vorweih­nacht" und Weihnachten als „Julfest" mit größter Radikalität im Unterricht der deutschen Volksschule propagiert wurde. Dies fand meines Erachtens nicht so deutlich statt. Die Durchsicht von etwa 30 Schulbüchern für 6-10jährige Kinder ergab, dass „Vorweihnacht" und „Weihnacht" zwar unterschwellig eingebaut, aber keineswegs sys­tematisch abgeschafft wurden.

 

Kriegsweihnacht

Kriegsspiele (aus: Sonderdokumentation Nr. 2 des Verlags für geschichtliche
Dokumentation, Hamburg o.J., S.44)

Adventliches und weihnachtliches Liedgut

Besonders bei der „nationalsozialistischen Fest- und Feiergestaltung" (146) sollte Musik eingesetzt werden. Kurt Higelke erwähnt die geforderte frohe und oft marschmäßige „deutsche Musik", die vor allem „gemeinschaft-völkisch“ sein sollte. Das Kirchenlied blieb ausgespart(147). Aber die radikale Auswirkung auf Weihnachtslieder unterblieb. Mit Bezug auf Hitlers Ansicht zum Lied „Stille Nacht, heilige Nacht" (148) sei jedoch auf einen geheimen Lagebericht des Sicherheitsdienstes der SS vom 8. Januar 1942 hingewiesen, demzufolge die deutsche Bevölkerung angeblich bei NS- Feiern das Fehlen der traditio­nellen Weihnachtslieder „(...) bedauerte, da die neuen Lieder z.B. ,Hohe Nacht der kla­ren Sterne' noch zu wenig bekannt seien, um gemeinschaftlich gesungen zu werden"(149).

Judith und Rita Breuer weisen zwar auf die strenge Zensur der Nationalsozialisten hin, bestätigen aber, dass nicht allen ersatzlos gestrichen wurde. Bei einigen Liedern reichte die Umdichtung einiger Zeilen aus, um den christlichen Sinn zu entfernen. Aber das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht" ließ sich die Bevölkerung nicht so einfach stehlen (150). Die beiden Autorinnen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass mehrere Weihnachtslie­der manipuliert wurden (151).

Vorweihnachtliche Gebete

Grundsätzlich jedoch seibetont, dass die Nationalsozialisten bereits in Märchen, Sagen und anderen Erzählungen versuchten, Einfluss auf die Sozialisation und Enkulturation der Schulkinder zu nehmen (152).

Auch unter diesem Aspekt untersuchte ich etwa 30 Schulbücher aus dem Dritten Reich. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass tatsächlich die Indoktrination von Klein­kindern bereits im Kindergarten begann. Als nur eine der Möglichkeiten, „die teuflische Elastizität politischer Bildungsakzente zu entlarven" (153), könnte auch die Analyse von Schul­gebeten sein. Nachweisbar ist hier zum Beispiel ein Gebet, das für das Jahr 1937 in Kindergärten und Grundschulklassen nachweisbar ist:

 

Hände falten, Köpfchen senken
und an Adolf Hitler denken,
der uns Arbeit gibt und Brot
und uns hilft aus aller Not! (154)

 
Für die Vorweihnacht war unter anderem folgendes Gebet im Rheinland vorgesehen. „Der neue Gott", dessen die deutsche Jugend besonders in dieser Zeit gedenken sollte, offenbart sich in nachfolgendem Anruf, der den Kindern in Köln, Ortsgruppe Reinau, für die Speisung in der NSV beigebracht wurde:

Führer, mein Führer, von Gott mir gegeben,
Beschütz und erhalte noch lange mein Leben!
Hast Deutschland gerettet aus tiefster Not,
Dir danke ich heute mein täglich Brot.
Bleib lang noch bei mir, verlaß mich nicht,
Führer, mein Führer, mein Glaube, mein Licht. (155)

 

Spiele und Schulfeiern

Durch die Durchsicht der Schulbücher und die Berücksichtigung der Anweisungen für deutsche Volksschullehrer auf der Basis der Richtlinien vom 15. Dezember 1939 wurde mir klar, dass die massenmediale Beeinflussung sich nicht nur in den Institutionen Fami­lie, Kindergarten und Volksschule auswirkte. Band 3 der „Kamps Handbücher für die praktische Schularbeit für das 3. und 4. Schuljahr" (156) betont ausdrücklich, dass der Volksschulunterricht auch das „Prinzip der Wehrerziehung" berücksichtigen soll. (157) Demzufolge wird unterschwellig das Soldatische und ,Heldische' - selbst bei Texten und Gesellschaftsspielen - für die Vorweihnacht didaktisch berücksichtigt. In ihrem Buch „Schule im Nationalsozialismus" ergänzt Elke Nyssen, dass neben Radiosendun­gen „eine kaum mehr zu übersehende Vielzahl von Zeitungen, Heften, Büchern und Jahrbüchern von und für HJ" erschienen, „die alle der totalen ideologischen Beeinflus­sung des Jugendlichen dienen sollten" (158).

 

Kriegsweihnacht   Kriegsweihnacht

Würfelspiel „Wir fahren gegen England“ und „Zinn-Pimpfe“ als Weihnachtsgeschenke (aus: Sonderdokumentation Nr. 2 des Verlags für geschichtliche Dokumentation, Hamburg o.J., S. 42 und 44)

 

Um den Bezug zur Adventszeit, der nationalsozialistischen „Vorweihnacht" wieder her­zustellen, sei angemerkt, dass in den - verhältnismäßig wenigen (!) - Lesestücken für 6-12jährige Volkschulkinder die Aspekte VOLKSGEMEINSCHAFT, HILFE und KA­MERADSCHAFT, SOLDATISCHES im Vordergrund standen.

 Somit konnten, die NS-Feierstunden für und während der „Vorweihnacht“ politisch missbraucht werden. Zur Funktion einer solchen Fest- und Feierstunde im nationalsozialistischen Selbstverständ­nis heißt es:

In der Schulfeier tritt die Eingliederung der Schule in die große Volksgemein­schaft am sinnfälligsten in die Erscheinung. Sie bildet den Höhepunkt im Gemeinschaftsleben der Schule und ist deshalb mit besonderer Liebe und Sorgfalt zu gestalten.(159)

Dass selbst Mädchen in der Zeit der „Vorweihnacht" (der eigentlichen Adventszeit) mit in die deutsche Volksgemeinschaft spezifisch einbezogen wurden, ist klar. In dem Mäd­chenbuch „Der frohe Kreis" schildert Elsbet Göbels in dem Kapitel „Soldaten für Krü­gers Heini" ein Jungmädel, das sich in der Weihnachtszeit um „Mutter Krüger und deren drei Kinder kümmern sollte. Der Vater stand im Kriege". Die 2-seitige Erzählung schildert, wie das Interesse an weihnachtlichen Malbüchern, am Zeichenheft mit Tieren und Märchenfiguren oder an einer Puppe nachließ, um stattdessen aus Streichhölzern viele Soldaten zu basteln:

So sammelte die Jungmädelschaft in der Weihnachtszeit Paketknebel und flache Streichhölzer (...). Aber zu einer Kompanie gehören sehr viele Soldaten! hundert Mann', sagt Inge. Ihr großer Bruder steht auch an der Front, da muß sie es ja wissen(160).

Lesegut – für das Grundschulkind und den Lehrer

Für die Didaktik der Grundschule (Volksschule) ist bedeutsam, dass es von 1933 bis 1937 bzw. 1939 keine umfassenden neuen Lehrpläne gab, die amtlich verbindlich waren. Aber es wurde mit einer Fülle von Verfügungen der Kulturverwaltungen der Länder operiert.161 So ist mir verständlich, warum es in vielen Lesebüchern keine direkte Umfunktionierung der „Adventszeit" gab. Im Deutschen Lesebuch für Volksschulen von 1936 fällt dies besonders auf, zumal die von mir untersuchte 2. Auflage sogar aus dem Jahre 1940 stammt.

Im 4. Kapitel (Seite 108 bis etwa 126) mit der Überschrift „Es weihnachtet sehr!" ist traditionsgemäß immer noch die Rede von: „Martinslied" (Seite 110), „Knecht Rup­recht" (Seite 118), „Guter Nikolaus" (Seite 118/119), „St. Niklas" (Seite 119), „Vor­weihnachten und Weihnachten" (Seite 122), „Der Weihnachtsbaum" (Seite 125), „Christkind" (Seite 125/ 126), „Vom Christkind" (Seite 126/ 127), „Was das Christ­kindlein sagt" (Seite 127).

Ich bin in diesem Fall tatsächlich der Ansicht, dass die Adventszeit fast wertfrei wiedergegeben wurde - eventuell unter der Fußnote „Volksgut". Selbst auf die religiöse Formulierung „Amen“ wurde nicht verzichtet:

 

Ich bitte dich, Sankt Niklas, sehr,
in meinem Hause auch einkehr',
bring Bücher, Kleider und auch Schuh'
und noch viele gute Sachen dazu,
so will ich lernen wohl
und fromm, wie ich soll. Amen(162)

 

Wie in heutigen Fibeln und Lesebüchern der Grundschule stehen für die Adventszeit Werte wie Hilfsbereitschaft, Gemeinschaft, Familie, Geborgenheit u.a. im Vordergrund. Die Texte könnten meist auch heute noch benutzt werden, wenn man Begriffe wie „Winterhilfswerk" (Seite 109/110), „Bund deutscher Mädel" (Seite 110) oder „Volkswohlfahrt" (Seite 111) auslässt.

Bezüglich der „Vorweihnacht" heißt es unter der Überschrift „Für das Winterhilfswerk":

(...) den ganzen Winter hindurch (...). Einmal bekommen die Mädchen Besuch von der Scharführerin des Bundes Deutscher Mädel. Diese lobt ihre Arbeiten und sagt: Wir Deutsche sind eine große Familie. Stets müssen wir einander helfen. Dann herrscht keine Not, und jeder hat sein Brot. So will es unser Führer(163).

Diese und nur noch eine einzige weitere Stelle im gesamten 175-seitigen Lesebuch für Grundschulkinder lassen erkennen, wie die Adventszeit im Zeitalter des Nationalsozialismus dargestellt wurde:

(...) Frau Lange ging in das Haus und sagte: ,Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt schickt mich zu euch. Wir sammeln für unsere armen Volksgenossen. Unsern deutschen Brüdern und Schwestern, unsern Müttern und Kindern wollen wir helfen' (...). Die Männer in den braunen Uniformen kamen, holten sie aus der Stube und legten sie in den Wagen. (164)

Dieselbe Didaktik verfolgte in der Kriegszeit das Deutsche Lesebuch für das 3./4. Schuljahr. Auf den ca. 250 Seiten gibt es nur 3-4 kleinere Beiträge zur Advents- und Weihnachtszeit. Neben der Geschichte „Der Schlitten" von Georg Ruseler,(165) in der ein „Büblein" mit dem „Christ­kindlein" über ein „Träumelein" diskutiert, wird Ernst Moritz Arndt's „Gebet eines klei­nen Knaben an den Heiligen Christ" angeführt. Und wenn nicht die Überschrift „Hilf mit am Winterhilfswerk" wäre, dann könnte dieser 4-zeilige Spruch mit dem Inhalt, dass man zur Weihnachtszeit „einem Frierenden Wärme und Licht" geben solle, auch in heu­tigen Grundschulbüchern stehen! (166)

Dieser private Eindruck wird jedoch durch die Anweisungen an den Lehrer im Dritten Reich widerlegt. Die methodisch-didaktische Vorbereitung hatte sich auf die „Anregun­gen zur Durchführung der Richtlinien vom 15. Dezember 1939" zu konzentrieren, nach denen „immer und in jeder Stunde Advent" zu sein habe. An keiner Stelle fand ich eine deutlichere Anweisung, wie die Adventszeit methodisch-didaktisch und curricular zu werten sei als im Lehrerhandbuch für das 3./4. Schuljahr, in dem es wörtlich heißt:

WEIHNACHTEN ist derweil gekommen. Tannengrün hier und dort haucht uns einen seligen Duft begnadeter Zeit zu; der belichterte Adventskranz erhöht Seele und Erwartung; - wie wir auch empfinden, wo wir auch stehen mögen: das Ge­heimnis der Weihnacht, da ein ewiger Gott im Kind sich zur Menschheit und der Himmel sich zur Erde neigt; da das Leben durchquert wird vom zartesten und reichsten Geheimnis zwischen Mutter und Kind; da tausend Lichter aufbrennen wie eine ewige Sehnsucht zur Güte, zur Reinheit, zur frommen Einfalt des Kindes; – hier feiert die deutsche Seele! - Nein, die Schule soll hier nicht feiern, soll nicht enthüllen, was noch Erwartung sein kann, wenn auch nur noch für Tage, für selige Tage. Aber sie soll die Freude des Wartens vertiefen und verinner­lichen, so gut sie kann. Immer und in jeder Stunde sei Advent(167.)

Dennoch sollte man nicht vergessen, dass bereits im Jahre 1934 das „Jesuskind“ durch den neuen „Heiland Hitler“ ausgetauscht wurde. Gerd Rühle fasst dies bereits 1934 in dem umfangreichen Band „Das Dritte Reich“ unter dem Begriff „Volksweihnacht“ folgendermaßen zusammen:

 

Kriegsweihnacht

Volksweihnacht der NSDAP (aus: Gerd Rühle, Das Dritte Reich, Berlin Bd.1934, S.399)

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