NS-Ordensburg Vogelsang: Kommentar zum Blog
„Mediale Verwirrung um den 'Täterort“

von Hans-Dieter Arntz
11.02.2007

Ein beachtliches Forum zur Diskussion aktueller Probleme hat STEFAN  EVERTZ aus Essen geschaffen. Seine Blogs werden sehr stark beachtet und beinhalten qualifizierte Beiträge. Es handelt sich hier um ein nicht-kommerzielles Online-Projekt, das sich auch des Themas NS-Ordensburg Vogelsang angenommen hat: 

Zurzeit ruft sein Blog „Mediale Wirrungen um den Täterort“ zur Diskussion auf.

Inzwischen liegen Kommentare der Historiker  Michael Schröders und Tomasz Butkiewicz (Polen) sowie ein Beitrag des Euskirchener Sozialwissenschaftlers und Buchautors Hans-Dieter Arntz vor. Er befindet sich im Blog von Stefan Evertz  sowie auch auf der Homepage des Autors:

Kommentar Nr. 3 zum Blog von STEFAN EVERTZ:
„Mediale Wirrungen um den 'Täterort'“

von Hans-Dieter Arntz

kommentar2

03.05.2004:  H.-Dieter Arntz weist in der Dokumentation "Hitlers Ordensburgen" auf die Verbrechen eines
Gebietskommissars in der Ukraine hin, der einen Lehrgang auf der Ordensburg Vogelsang absolviert hatte
(Film von Peter Prestel und  Rudolf Sporrer, Bayerisches Fernsehen)

 

In meinem stark beachteten Online-Artikel unter der Überschrift „NS-Ordensburg Vogelsang: Irritationen um Aufarbeitung der Geschichte“ vom 29.11.06 konnte ich sehr schnell dem Gerücht entgegentreten, ein „geheimes NS-Archiv der Burg Vogelsang“ wäre gefunden worden. Auch die Schlussfolgerung  der Eifel-Presse, hier wäre in der Zeit von 1936-1939 ein „Täterort“ gewesen, an dem „Junker“ und „Stammpersonal“ zu „Massenmördern“ erzogen worden wären, stellte sich bald als falsch heraus.

Die vielseitigen Reaktionen auf den o. a. Beitrag sind aufschlussreich und in Kurzform  in meinen News vom 28.01.2007 nachzulesen. Sie müssten eigentlich  in absehbarer Zeit auch noch ausgewertet werden.

Fassen wir noch einmal zusammen. Es ging um: 1. „Geheimes NS-Archiv“ und 2. „Täterort Vogelsang.“ Obwohl sich inzwischen alle einig sind, dass die diesbezüglichen Pressemeldungen und Schlussfolgerungen falsch waren, möchte ich als Initiator der Diskussion noch einige Anmerkungen machen.

1.

Im Laufe der  langen Gespräche mit dem polnischen Wissenschaftler Tomasz Butkiewicz aus Warschau (Vgl. Kommentar Nr.2) stellte sich schnell heraus, dass wir grundsätzlich derselben Meinung sind: „Es gibt keine Bildungsorte für Tötungsmaschinen“! Das gilt auch für die Adolf-Hitler-Schulen, Napolas, SS-Junkerschulen oder die 2 Ordensburgen Vogelsang und Krössinsee. Jedoch können familiale Wertevermittlung im Verlaufe der Sozialisation sowie pädagogische Methodik und Didaktik  bei einigen Menschen  zu einem pervertierten Idealismus führen, der bei  religiöser oder politischer Indoktrination - besonders  in autokratischen Systemen – zu deviantem Verhalten führt. Die Tatsache, dass kein „Junker“ länger als etwa 10 bis 11 Monate auf der Ordensburg Vogelsang verweilte, führt die Behauptung ad absurdum, dass die angebliche „Mitte eines Spinnennetzes“ , so meinte sich der Journalist äußern zu müssen, ein „Täterort“  gewesen sei. In solch kurzer Zeit kann kaum ein erwachsener Mann, im Alter von 23-26 Jahren und mit  Berufsausbildung, zum Massenmörder des Holocaust ausgerichtet werden. Dasselbe gilt auch, wenn er zusätzlich noch einen 11-Monate-Kurs in Krössinsee absolviert hat. Weiteres wird im Kommentar Nr.2 vom 3.2.07 durch den Warschauer Historiker Tomasz Butkiewicz  begründet.

2.

Mit meinem Buch „Ordensburg Vogelsang 1934-1945 – Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich“ hatte ich im Jahre 1986 als einer der Ersten die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang  thematisiert und natürlich auch  deren potenzielle  Auswirkung im Dritten Reich. Vor 20 Jahren war es problematischer als heute, Akten -und Archivmaterial zu finden und zu werten.   Dennoch fand ich in DDR-Archiven erstmals einen Hinweis auf  einen angeblichen Bezug zwischen der Ordensburg Vogelsang und Massenmord. In der Zeit 1959/60 polemisierte dort  die kommunistisch-sozialistische Wissenschaft und Politik gegen den bundesdeutschen Vertriebenenminister Theodor Oberländer, der angeblich an einem Massenmord in Lwow  beteiligt war und seine „Richtlinien hierfür wenige Tage vor den Erschießungen auf der Ordensburg Vogelsang“  empfangen habe. Diese auch in einem DDR-Dokumentarfilm aufgestellte Behauptung stellte sich später als unwahr heraus. Die zurzeit geführte Diskussion um die Ordensburg Vogelsang als „Täterort“ hat wohl in dieser Zeit ihre Wurzel und sollte jetzt im Jahre 2007 abgeschlossen werden – es sei denn, aussagekräftige Dokumente und ein wissenschaftlicher Nachweis werden  erbracht.

Hinweise und Anregungen zu dieser Problematik habe ich persönlich in einigen Radio- und Fernsehinterviews gegeben. Am 8. Juni 1986 bereits gab ich dem Journalisten Rudi Karp hierüber Auskunft (WDR 3, Aktuelle Stunde). Weitere Aussagen machte ich 2003 in der Fernsehdokumentation „Hitlers Ordensburgen“ von Peter Prestel und Rudolf Sporrer , die 2004 in mehreren ARD-Sendungen ausgestrahlt wurde. Hier berichtete ich über die Funktion eines Gebietskommissars in der Ukraine. Ich erwähne das nur, um diese angeblich „erstmals entdeckten Problematik“ temporär einzuordnen.

3.

Nach meinem o. a. online-Artikel vom 29.11.2006 vermieden es  Presse und Presseagenturen  ostentativ, erneut den Hinweis auf das ominöse NS-Archiv aufzugreifen. Offenbar hatte man sich bei den Verantwortlichen erkundigt und dabei erfahren, dass die Belgier keineswegs geheime  Nazi-Unterlagen oder bisher unbekanntes Material ausgehändigt hatten. Selbst die Eifel-Presse wiederholte diese falsche Behauptung eines  übereifrigen Reporters nicht mehr. Nur eine Fernsehsendung, an der ich persönlich aus Zeitgründen nicht teilnehmen konnte, griff die Forderung nach dem notwendigen Dokumentationszentrum Vogelsang am 17.1.07 noch einmal kurz auf.

Im Kommentar Nr. 1 vom 3. Februar 2007  äußerte sich auch Michael Schröders zu den „medialen Wirrungen um den Täterort“. Als Historiker ist er an der Konversion der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang beteiligt und verzeichnet zurzeit in einigen Archiven das Aktenmaterial, das dort seit Jahrzehnten lagert– teilweise unberührt  bis zum jetzigen Zeitpunkt.  Als Fachmann sollte er natürlich wissen, dass kritisierte Kollegen nicht immer persönlich in Archiven sitzen müssen und vorher die Benutzerblätter der Präsenzlisten signieren. In meinem Fall zum Beispiel waren dankenswerterweise Mitarbeiter gelegentlich bereit, Quellen zu sichten und kopieren zu lassen. Und selbstverständlich habe ich mich in meinem Buch „Ordensburg Vogelsang 1934-1945“ redlich um eine genaue Quellenangabe bemüht. Diesbezüglich gab es auch im Juni 2006  vom Institut für Zeitgeschichte in München keine Kritik.

Nach der wochenlangen Zurückhaltung der Medien fand nun Michael Schröders  im General- Anzeiger einen Bericht, der ihn zu seinem o. a. Kommentar  motiviert zu haben schien. Wegen seiner unvollständigen Quellenangabe soll nachgetragen werden, dass es sich hier um einen ganzseitigen Bericht von Rainer Keller handelt, der am 17.1.07 im General-Anzeiger der Bundesstadt Bonn unter der reißerischen Überschrift „Hier wurden die Täter erschaffen“ publiziert worden war.  Das längst abgehakte Thema  wurde erneut aufgegriffen.

Als Sozialwissenschaftler greife ich die Kritik von Michael Schröders auf, dass der von ihm namentlich genannte Eifel-Reporter  „einen verantwortungsbewussten Umgang mit dieser Geschichte vollkommen vermissen“ lässt. Tatsächlich ist sein „geheimes NS- Archiv“, das ihm in Form von Fotokopien und als unvollständiger Bestand von „Burgheften überlassen wurde, eine private Sammlung „ohne wissenschaftlichen Wert“ für ihn persönlich.

Die bisherigen Ergebnisse und Zahlen, die Michael Schröders in seinem Kommentar vorlegt, decken sich mit meinen Forschungsergebnissen. Allerdings sollte sich der Historiker besonders bei dieser Thematik klar sein, dass er zurzeit  mit der nüchternen Aufzeichnung der Vogelsang-Archivalien sowie der Registrierung nach Aktenlage noch hinter meinem Archivbestand zurückliegt. Wenn ich ihm in seiner eigenen Argumentation antworten darf, dann kennt er nicht die interessanten Privatarchive ehemaliger Angehöriger der Ordensburgen, die Entnazifizierungsunterlagen und Gerichtsakten der Männer, deren gesamte Biographie nun doch unter der Überschrift „Täter“ aufschlussreich sind und über den Tagesablauf auf Vogelsang Einblick geben. Hierzu gehören auch die wichtigen und sehr aufschlussreichen Unterlagen aus der ehemaligen DDR und den Niederlanden, die ihm nachweislich völlig unbekannt sind. Auch ein investigatives Vorgehen – eventuell in Form der „Oral History“ - sollte für ein künftiges Dokumentationszentrum angebracht sein, zumal die Angehörigen der ehemaligen Vereinigung „Alte-Burger“ aus demografischen Gründen überschaubar wird. Aber dies ist eher für die vollständige Vita der Zeitzeugen und nicht nur für die 10-11monatigen Ausrichtung auf der NS-Ordensburg Vogelsang relevant.

4.

Da ich mich bei meinen Forschungen primär mit der Aufarbeitung des rheinischen Judentums und der Opfer der NS-Verfolgung  befasse, habe ich die Behauptung des von Michael Schröders benannten Eifel-Reporters und dessen Argumentation bezüglich „Ordensburg = Holocaust“ mit einem Teil meines Archivs  meinen Mitarbeitern in Israel zukommen lassen.

Sollten nun unsere  Erkenntnisse – die von Michael Schröder, Tomasz Butkiewicz und von mir –, mit denen israelischer Archive identisch sein, dann ergäbe sich eine wirklich perverse Feststellung: Juden und rassisch Verfolgte nehmen Ordensburg-Junker vor historischer Unwahrheit in Schutz!!!!!!!          

 

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08.06.1986:  Der Journalist Rudi Karp vom WDR-Fernsehen interviewt H.-D.Arntz zum Thema
Ordensburg Vogelsang als "Täterort"

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