Joseph Roth aus Bad Godesberg:
Lehrer in Euskirchen und Widerstandskämpfer im Dritten Reich

von Hans-Dieter Arntz
16.09.2015

Wer sich ernsthaft mit der Aufarbeitung der Judenverfolgung im Dritten Reich und dem Holocaust befasst, der darf auch nicht davor zurückschrecken, dies anhand gewisser Recherchen über die NS-Verfolger zu tun. Das Menschenbild im Dritten Reich war in vielen Bereichen menschenverachtend und wurde der Jugend systematisch anerzogen. Dies versuchte ich erstmals anhand meines Buches „Ordensburg Vogelsang 1934-1945 – Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich“ nachzuweisen, in dem es um die Ausrichtung der künftigen „Führeranwärter“ bzw. „Junker“ und deren Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich geht.

Sehr interessante Reaktionen gab es seit dem Frühjahr 2015 auf meinen Online-Artikel Die letzten Erinnerungen des NS-Gauleiters Josef Grohé (1944-1945) – Zur Auswertung eines bisher unbekannten Manuskriptes, in dem ich erklärte, wie „Wie ich zum `Tagebuch´ des Gauleiters Josef Grohé kam...“. Schon am 9. März hatte ich darüber erstmals unter der Überschrift Zeitungsserie: Die letzten Erinnerungen von Gauleiter Josef Grohé (1944-1950) auf meiner regionalhistorischen Homepage berichtet. Im Jahre 1986 hatte ich die Möglichkeit, ein Interview mit dem einst allmächtigen Gauleiter von Köln-Aachen zu führen. Mich interessierte schon immer die Auffassung eines früheren NS-Potentaten. Über dessen tatsächliche Einstellung zum Judentum und die eigentliche Funktion der NS-Ordensburg Vogelsang werde ich übrigens demnächst einen Beitrag veröffentlichen.

Einer der vielen Leserbriefe stammte von dem Bonner Josef Roth, dessen Großvater Joseph Roth (1896-1945) seine Lehrerausbildung in der Kreisstadt Euskirchen erhalten hatte, sich später ostentativ gegen den Nationalsozialismus wandte und als Widerstandskämpfer und Buchenwald-Häftling sein Leben lassen musste.

Der Enkel schrieb mir:

Durch Zufall habe ich heute im Internet gelesen, dass Sie die originalen „Erinnerungen von Josef Grohe´“ besitzen. Nun habe ich eine ganz spezielle Frage an Sie, was meine Familie betrifft. Mein Großvater Joseph Roth (1896 in Köln - 1945 in Godesberg, Lehrer, Politiker und NS-Opfer, siehe auch: Wikipedia) wurde im August 1944 im Zuge der „Aktion Gitter" verhaftet und im AEL-Deutz interniert (so wie auch Adenauer mit ihm). Auch sein Sohn, mein Vater Wilhelm Roth (1932-1995), wurde von der Gestapo im „EL-DE"-Haus „verhört". Ist hierüber etwas in dem Grohe´-Manuskript zu finden?

..... Euskirchen ist bisher nicht sehr daran interessiert, seine NS-Gegner mehr als „nur" online zu ehren, obwohl mein Großvater nicht nur dort zum Lehrer ausgebildet wurde, sondern sogar in der Martinsschule eine Zeit lang als Referendar unterrichtet hatte. Ich habe darüber noch sämtliche Zeitungsartikel. Leider sind von meiner Großmutter, aus Angst vor der Gestapo, sämtliche schriftlichen und verräterischen Unterlagen vernichtet worden, sodass ich heute nur über fremde Quellen ergänzen kann, was genau geschehen ist (ausgenommen, die niedergeschriebenen Erinnerungen meines Vaters, 1932-1995, die er damals 1944 erlebte). Leider gibt es über diese Aktion, in der auch Thomas Eßer verhaftet wurde, kaum Material in der deutschen Geschichtsforschung....

 

Im linken Bild (1912/13) ist der junge Joseph hinten in der Mitte zu sehen, bevor er zum Königlichen Lehrerseminar Euskirchen überwechselte. Das rechte Foto zeigt den engagierten Volksschullehrer Joseph Roth im Jahre 1933.

Sein Enkel überließ mir einen Stapel von Fotos und Dokumenten, an denen das Euskirchener Stadtarchiv tatsächlich bisher kein Interesse zeigte. Vielleicht findet sich doch noch eines Tages ein Historiker, der dies alles einmal aufarbeitet.

 Joseph Roth wurde als erstes von sieben Kindern des Kirchen- und Dekorationsmalers Wilhelm Roth (1870–1948) und dessen Frau Margarethe, geborene Kruth (1866–1932), geboren. Er wuchs im Belgischen Viertel in Köln in einer streng katholischen Umgebung auf. Drei seiner jüngeren Brüder, Willi (1898–1952), Ernst (1902–1945) und Karl Gustav (1902–1987), wurden Priester. Sein Vorbild war der Pädagoge Lorenz Kellner. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er eine Ausbildung als Volksschullehrer am Lehrerseminar und der vorgeschalteten Präparandie in Euskirchen.

Als 15-jähriger wohnte damals bei Kost und Logis in Euskirchen, Bahnhofstraße 11, und etwas später in der Kapellenstraße 21, direkt neben dem bekannten Dekorationsgeschäft Heinrich Heimbach. Stolz steht er mit seiner Schülermütze vor dem Gebäude.

 

 

Laut Wikipedia trat Joseph Roth 1914 , zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als Kriegsfreiwilliger in das in Köln stationierte 5. Westfälische Infanterie Regiment Nr. 53 ein und wurde Ende Dezember 1914 in Frankreich bei Neuve Chapelle im Stellungskrieg nach der ersten Marneschlacht schwer verwundet. Er bekam das Eiserne Kreuz 1. Klasse sowie das Verwundetenabzeichen in Schwarz. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst 1917 als Vizefeldwebel - diese Laufbahn stand ihm mit Einjährig-Freiwilligem-Privileg offen - beendete er im Januar 1918 seine Ausbildung zum Volksschullehrer in Euskirchen. Seine beiden Lehrerprüfungen hatte er am 5. Februar 1918 und am 28. Oktober 1919.

Das linke Foto zeigt den jungen Mann (rechts am Tisch sitzend mit aufgestütztem Arm) im Schuljahr 1913/14. Rechts sitzt er als Dritter von links, mit einem Strohhut in der Hand, und lässt sich mit den Lehramts-Absolventen ablichten.

 

 

Seine politische Karriere begann der junge Pädagoge im Bad Godesberger Windthorstbund. Von dort wechselte er sehr schnell zur Zentrumspartei unter dem Vorsitz des damaligen Kreistagsmitgliedes Bonn-Land, Peter Hensen und wurde kurze Zeit später zu dessen Stellvertreter im Kreistag gewählt. 1929 wurde Roth zum 1. Vorsitzenden der Bad Godesberger Zentrumspartei gewählt. Im März 1933 wählte man ihn zum Vollmitglied in den Kreistag Bonn-Land. Seit 1924 arbeitete Roth auch als Schriftleiter für die Godesberger Volkszeitung, die Parteizeitung des Godesberger Zentrums.

Seine politischen und persönlichen Aktivitäten im Kreis, in Bad Godesberg, Friesdorf und auch in der Schule machten ihn bei den Nationalsozialisten verhasst. Details sind dem bereits genannten WIKIPEDIA-Beitrag zu entnehmen.

Derselben Darstellung ist zusammenfassend zu entnehmen:

Als überzeugter Katholik baute Roth zu jeder Fronleichnamsprozession große Altäre vor seinem Haus auf und betete regelmäßig mit den Schulkindern. Auch deshalb wurde mehrfach das alte Familienkreuz, eines von vier alten Votivkreuzen von Friesdorf, umgeworfen und beschädigt. Roth jedoch ließ das Kreuz immer wieder neu aufrichten und instand setzen. Von 1940 bis 1944 war Roth wieder als Lehrer in Friesdorf tätig. Am 22. August 1944 wurde er nach dem Attentat auf Hitler im Rahmen der Aktion Gewitter verhaftet, einen Tag später in das Kölner Gestapo-Gefängnis EL-DE-Haus eingeliefert und von dort mit anderen ehemaligen Reichstagsabgeordneten und Politikern demokratischer Parteien (u. a. mit Konrad Adenauer, Thomas Eßer, Josef Baumhoff, Peter Schlack, Otto Gerig, Peter Paffenholz, Peter Knab und Hubert Peffeköver) in das Arbeitserziehungslager in den Messehallen in Köln-Deutz, dem Messelager Köln, überführt. Vom Messelager aus wurden Roth, Gerig, Schlack, Baumhoff, Knab und Peffeköver mit weiteren ehemaligen Politikern und auch mit dem Priester Alexander Heinrich Alef am 16. September 1944 ins KZ Buchenwald deportiert. Zusammen mit Baumhoff, Gerig, Knab, Peffeköver und Schlack wurde er in dem Zellenblock 45 untergebracht.

 

Hier stellte er heimlich eine Fingerrosette her, deren Motiv seine katholische Überzeugung symbolhaft ausdrückt.

Bei seiner Entlassung am 28. Oktober 1944 wurde Roth von einem KZ-Arzt noch eine Giftinjektion, eine sogenannte Benzinspritze (Phenolspritze), injiziert. Kurz vor Ende des Jahres sollte Roth nach Leipzig im damaligen Sachsen ausgewiesen werden, doch sein Bruder Ernst versteckte ihn bei einer befreundeten Familie in Dattenfeld. Zu Weihnachten konnte er dann, total abgemagert und von der Wirkung der Giftspritze gezeichnet, wieder heimkehren.

Am 22. Januar 1945 starb er zu Hause an den Folgen des Giftes. Von Behördenseite aus wurde der Familie untersagt, ein reguläres Begräbnis durchzuführen, und auch der Ortspfarrer hatte zu viele Bedenken, teilzunehmen. Engste Freunde und Schulkinder zogen auf zwei Schlitten den Sarg zum Friedhof. Nachdem polnische Kriegsgefangene das Grab ausgehoben hatten, wurde Roth von seiner Frau, seinen Kindern und von seinen Geschwistern Ernst (in der Eigenschaft als Priester), Karl und Elisabeth im engsten Familienkreis begraben. Die Gestapo verlangte jedoch noch einen Textzusatz auf dem Totenzettel: „Sein Tod erfolgte plötzlich infolge seiner bei den letzten Fliegerangriffen stark erschütterten Gesundheit.“

Aus verschiedenen Gründen unterblieb anfangs eine posthume Ehrung des Widerstandskämpfers. Erst im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte wurden irritierende Entscheidungen rückgängig gemacht, und die endgültige Würdigung drückte sich verdientermaßen in der Benennung einer Joseph-Roth-Straße in Friesdorf, einem Ehrengrab der Stadt Bonn und der Stolpersteinverlegung (2006) aus. Dass Joseph Roth am 7. Mai 2000 in die Reihe der „Neuen Blutzeugen und Märtyrer der katholischen Kirche“ eingereiht wurde, ehrt den gläubigen Katholiken.

 


Wenn auch eine Beachtung in Euskirchen – der Stadt, in der er als Bürger etwa ein Jahrzehnt lang lebte -, immer noch aussteht, so sollten doch die beiden letzten Fotos dazu beitragen, dass der engagierte Pädagoge, aktive Katholik und überzeugte Widerstandskämpfer in der Kreisstadt unvergessen bleibt.

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