Erinnerung an die posthume Ehrung von Josef Weiss aus Flamersheim am 16. Mai 2013 – 1. Teil: Die neue „Jupp-Weiss-Straße“ (Bericht und Fotos)

von Hans-Dieter Arntz
20.05.2013

Im 2. Teil meiner Artikelreihe „Erinnerung an die posthume Ehrung von Josef Weiss aus Flamersheim“ ging es um die Benennung der Jupp-Weiss-Straße im Neubaugebiet „Im Mühlenacker“ von Flamersheim. Die Bevölkerung legte besonderen Wert auf die recht persönliche Bezeichnung „Jupp“, weil diese ihre mitbürgerliche Verbundenheit sowie den rheinischen Ursprung konstatieren soll. Aber auch in der Fachliteratur wird inzwischen der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen als „Jupp“ Weiss (holländisch: Joep Weisz) zitiert. Von historischem Wert ist es, dass am 16. Mai weltweit zum ersten Male eine Straße nach einem Judenältesten benannt wurde, der diese Funktion während des Holocaust ausübte und dabei besondere Verdienste erwarb.

 

Einweihung Jupp-Weiss-Straße   Einweihung Jupp-Weiss-Straße

 

Von dem seit 15 Jahren in Flamersheim lebenden Pensionär Reinhard Zahel stammt die Idee und Initiative, auch eine Gedenktafel am Geburtshaus von Josef Weiss (1893-1976) anbringen zu lassen. Es gelang ihm nicht nur, die Allgemeinen Ortsvereine zu aktivieren und private Sponsoren zu gewinnen, sondern auch die Medien für die beiden Veranstaltungen am 16. Mai zu interessieren. So berichteten das Fernsehen (WDR 3: „Aktuelle Stunde“) sowie der Rundfunk (WDR 5/3 und NDR: „Zeitzeichen“) über den letzten Judenältesten von Bergen-Belsen.

Die Regionalpresse und die Flamersheimer Homepage von Hans-Peter Hanel – einschließlich seines abschließenden Fotoreports – motivierte die Bevölkerung, sich verstärkt mit der jüngsten deutschen Geschichte und auch diesbezüglich mit der Heimatgeschichte zu befassen. Besonders dem Euskirchener Wochenspiegel und dessen Redakteur Wolfgang Andres verdankten die Verantwortlichen wieder – wie bereits in den letzten Jahren - eine engagierte Mitarbeit, die dankbar anerkannt wurde.

Ich möchte an dieser Stelle nicht über die vielen recht persönlichen Begegnungen der jüdischen Gäste berichten, sollte aber doch die recht bewegenden Augenblicke auf dem jüdischen Friedhof in Flamersheim oder beim Besuch des Geburtshauses von Josef Weiss in der heutigen Pützgasse 16 zumindest erwähnen. Die jetzigen Hausbesitzer, die italienische Familie Dello-Preite, ermöglichten den 8 jüdischen Gästen, die aus Israel, England und den USA angereist waren, den Zugang zu den erhalten gebliebenen Ställen, die aus der Zeit stammten, als Jupp`s Eltern noch Viehhändler in Flamersheim waren.

 

Einweihung Jupp-Weiss-Straße   Einweihung Jupp-Weiss-Straße

 

Im Rahmen seiner Begrüßungsrede auf dem Flamersheimer Marktplatz – in unmittelbarer Nähe des jüdischen Mahnmals – betonte der 1. Vorsitzende der AOV, Paul-Josef Kau, die Harmonie, die stets zwischen Juden, Katholiken und Protestanten geherrscht habe und brachte mit der Beschreibung von Josef Weiss als „Flomersche Jong“ einen recht persönlichen Bezug in die Veranstaltung.

Der Euskirchener Bürgermeister Dr. Friedl, dessen Anwesenheit als Repräsentant der Stadt Euskirchen besonders begrüßt worden war, gab einen historischen Überblick über das Wirken von Josef Weiss und hob die Sederfeier 1945 in Bergen-Belsen als ein Ereignis hervor, das ihn besonders bewegt habe.

 

Jupp-Weiss-Straßeneinweihung Jupp-Weiss-Straßeneinweihung Jupp-Weiss-Straßeneinweihung
     
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Der 2. Vorsitzende der AOV, Hans-Dieter Grützner, begrüßte die 8 jüdischen Gäste auf Englisch und las nachher auch den Text von Atara Zachor Dayan vor, deren Rede von dem Flamersheimer Ehepaar New vorbereitet worden war. Keineswegs soll die Initiative der Evangelischen Gemeinde Flamersheim vergessen werden. Pfarrerin Christina Fersing hatte im Vorfeld nicht nur planerisch mitgewirkt, sondern auch mit ihren Mitarbeiterinnen ein Treffen vorbereitet, das nach der Enthüllung der Gedenktafel gut besucht war. Um mit den jüdischen Gästen ins Gespräch zu kommen, war die Bevölkerung in den Gemeindesaal eingeladen worden. Bei Getränken und einem Imbiss gelang dies ausgezeichnet.

Höhepunkt der Gedenkfeier am Flamersheimer Marktplatz, vor dem Geburtshaus von Josef Weiss, war die Rede von Atara Zachor-Dayan (* 1970), der Enkelin von Josef Weiss:

 

Jupp-Weiss-Straßeneinweihung Jupp-Weiss-Straßeneinweihung Jupp-Weiss-Straßeneinweihung

 

Verehrte Gäste, Herr Arntz und meine liebe Familie,

zuerst möchte ich Ihnen sagen, dass ich sehr aufgeregt bin, während ich heute hier stehe, und ich hoffe, dass ich in der Lage sein werde, meine erste Rede auf Englisch zu halten.

Vor 24 Jahren wurde mein Vater, der als Kind Klaus Albert Weiss hieß und der Sohn von Jupp Weiss war, bei einem Autounfall getötet. Mein Vater, der als Kind meinen Großvater Jupp während der Zeit der Lagerinternierung begleitete, hatte sich der Dokumentierung der Geschichte seines Vaters gewidmet. Unmittelbar nach dem Unfall, am Vorabend der Beerdigung, als wir versuchten, die Tragödie zu begreifen, klingelte das Telefon bei uns daheim in Tel Aviv und eine unbekannte Stimme sagte auf Englisch mit starkem deutschem Akzent:

„Shalom, darf ich bitte Aharon Zahor sprechen?“ (das war der hebräische Name meines Vaters).

Ich antwortete: „Wer spricht da?“

„Ich komme aus Bergen Belsen. Er erwartet meinen Anruf“.

Ich atmete tief durch. Es ist nicht leicht, Menschen am Telefon zu erklären, dass jemand, mit dem man bis vor ein paar Tagen zusammen lebte, plötzlich nicht mehr da war. Ich hatte aber keine Wahl. Also sagte ich: „Leider können Sie ihm nicht sprechen, mein Vater ist gestern durch einen Autounfall ums Leben gekommen“.

Es gab ein langes Schweigen, und ich wiederholte meine Worte, um ganz sicher zu gehen, dass er meine traurige Mitteilung verstanden hatte. Er antwortete mit erstickter Stimme: „Ich kann es nicht glauben, ich bin aus Deutschland gekommen, um ihn zu interviewen, fotografieren und seine Aussage über seinen Vater, Bergen-Belsen und alles was geschah zu hören“.

„Sie sind zu spät gekommen“, sagte ich. Er legte auf, ohne seinen Namen oder eine Telefonnummer zu hinterlassen. In diesem Moment wurde mir klar, dass jetzt niemand in der Lage wäre, die Geschichte meines Großvaters zu erzählen und aufzuschreiben. Die Geschichte würde in Vergessenheit geraten, und die Lehren aus seinen Erlebnissen würden für immer verloren sein.

Jahrelang, während meines Studiums der Filmindustrie, fragte ich mich, ob ich jemals in der Lage sein würde, die Geschichte zu bearbeiten und zu dokumentieren. Die emotionalen Schwierigkeiten, aber auch ein immenser Arbeitsdruck, hielten mich jedoch davon ab.

Plötzlich, vor fünf Jahren, hörte ich von meinem Cousin Jerry Weiss (einem Neffen meines Großvaters), dass jemand aus Flamersheim mit der Dokumentation und Verewigung dieser sehr besonderen Geschichte begonnen hatte. Ich war sehr aufgeregt, da dies ein wahr gewordener Traum darstellte.

Ich nahm sofort Kontakt mit Herrn Arntz auf und fand heraus, dass er die Sache schon seit Jahren recherchierte, indem er auch nachts arbeitete und jede Einzelheit dokumentierte, um das Buch über Jupp, den letzten Judenältesten von Bergen-Belsen, zu schreiben. Von diesem Augenblick an versuchte ich, ihm so gut wie möglich behilflich zu sein, und arbeitete mich durch Dutzende von Briefen und Unterlagen, alle auf Deutsch geschrieben, was ich nicht verstehe.

Es hat mich auch sehr gerührt, als Herr Arntz mir über die Initiative berichtete, eine Straße in dieser Gemeinde nach meinem Großvater zu nennen. Wir hatten eine solche Ehre und Wertschätzung nicht erwartet.

Wir alle, ich und die ganze Weiss-Familie weltweit, danken Ihnen dafür sehr. Heute stehen wir hier, zum ersten Mal auf deutschem Boden, genau an der Stelle, wo Jupp geboren wurde, aufwuchs und zur Schule ging. Dies ist ein Anlass, den ich nie vergessen werde, einer der ergreifendsten Ereignisse in meinem Leben. Eine Reise zurück zu meinen Wurzeln, eine Reise, die für mich als Holocaust-„Kind“ der „zweiten Generation“ sehr schwierig, sehr bewegend und sogar beängstigend ist.

Bis heute hatte ich es vermieden, Deutschland zu besuchen, aber jetzt, wo Sie meinen Großvater auf so schöner Art ehren, habe ich mich entschlossen, nach Deutschland zu kommen und an der Zeremonie teilzunehmen.

Menschen leben hier, in einer nach einem besonderen und außergewöhnlichen Menschen genannten Straße! Ich hoffe, dass sein Name Sie dazu veranlassen wird, Ihre Kinder im Einklang mit seinem Wesen und seiner Vision zu erziehen, genau wie uns, den Weiss-Kindern, beigebracht wurde, menschlich zu sein, Leute zu lieben und alle Menschen als gleichwertig anzusehen:

Damit sie die Schönheit auf der Welt sehen und Toleranz zeigen gegenüber Menschen mit anderen Meinungen, anderen Religionen und anderen Glauben. Die Vielfalt der Schönheit auf der Welt zu erkennen; genau wie wir die Vielgestaltigkeit und Verschiedenheit der Blumen auf der Welt genießen, sollten wir auch für die Vielgestaltigkeit der Menschheit dankbar sein.

Die Bedürfnisse, Probleme und Leiden von anderen zu erkennen und den Mut zu haben, Menschen zu helfen, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. An Ihre eigene Fähigkeit zu glauben, in jeder Situation menschlich zu sein und stets nach den höchsten Maßstäben zu handeln. Sich um andere Menschen zu kümmern und nicht nur um uns selbst.

Und am allerwichtigsten:

Zu glauben, dass es möglich ist, in einer besseren Welt zu existieren und durch Ihren Glauben andere Menschen zu stärken, vor allem dann, wenn der andere versagt.

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie die in Ihrem Leben auftretenden Hindernisse überwinden werden und dass Sie eine wichtige Rolle innerhalb Ihrer Familie, Ihrer Arbeitswelt, Ihrer Gemeinde, Ihres Landes und der Welt übernehmen werden. Wegbereiter für den Frieden!

Ich bin meinem Großvater, den ich nur bis zu meinem sechsten Lebensjahr kannte, dankbar, dass er mir sein Erbe ins Blut übertragen hat.

Ich danke Ihnen vom ganzen Herzen.

Gott segne Sie alle!

Atara

Zeitungsartikel der Kölnischen Rundschau, Lokalteil Euskirchen, vom 18. Mai 2013:

Jupp-Weiss-Straßeneinweihung

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