Briten schürten Gerücht vom „Lebensborn“:
NS-Ordensburg heute Truppenübungsplatz

von Hans-Dieter Arntz
(Aus: Aachener Volkszeitung, 01. Juli 1986)
23.01.2007

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Eine Serie von Hans-Dieter Arntz (Teil 10)

 

Das aus vier Akten bestehende Drama „Vogelsang" von Paul Dresse (1951), das den Deutschen bisher unbekannt blieb, stellt symbolhaft die Auseinandersetzung zwischen nationalsozialistischer Weltanschauung und dem Christentum dar. Personifiziert stehen sich der Abt des nahen Klosters Mariawald und der Kommandant der Ordensburg Vogelsang gegenüber. Im Feuerschein und dem Hagel der Granaten, vor der Silhouette der Eifelberge und dem Spiegel des im Mondschein glänzenden Urftsees geht das Dritte Reich zu Ende und das Reich der christlichen Kirche erhebt sich. So heroisch jedoch war die Realität 1945 nicht. Hans Dietel, der letzte Kommandant, war bereits 1941 gefallen; das Kloster Mariawald mußte ein Jahr später geräumt werden.

Am 4. Februar 1945 wurde die Ordensburg Vogelsang durch das erste Bataillon des 47. Infanterieregiments der 9. US-Division (Kommandant General Bradley, Stabschef Oberstleutnant Westmore-land) fast kampflos eingenommen. Eis hatte allerdings in Dreiborn und am Urftsee heftigen Widerstand gegeben.

 

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Belgische Soldaten in Vogelsang kurz nach der Übernahme der Ordensburg.

 

In seinem Buch „Eight Stars to Victory" beschreibt Joseph Middleman die Einnahme der Burg Vogelsang mit den Worten: „Die berühmte Burg hatte eine mystische Atmosphäre, die am ehesten der Musik von Wagner entsprach. An jenem 4. Februar 1945 jedoch gab es nicht mehr Wagner — dafür aber Gershwin, Berlin und Boogie-Woogie... Auf der Terrasse, von der sich einst Hitler an die begeisterten Führeranwärter wandte, die künftig seine eroberte Welt regieren sollten, bauten amerikanische Landser ihre Maschinengewehre auf und feierten auf die Nazis, die sich über die Urft zurückzogen. Tatsächlich war dies das symbolische Ende der Tyrannei — ermöglicht durch die friedliebenden Amerikaner." Nur 1500 Ordensjunker hatte es auf Vogelsang gegeben. Keiner hatte die vorgesehene vierjährige Ausbildung beenden können. Mit der Einnahme durch die Amerikaner wurde ein endgültiger Schlussstrich unter die Epoche des Nationalsozialismus gezogen. Die Amerikaner hatten bis zum 12. Februar 1945 in der ehemaligen Ordensburg ihr Hauptquartier, ehe es weiter in Richtung Rhein ging. Einige Monate später rückten für kurze Zeit die Engländer in das Burggelände ein, verließen es aber im Herbst 1945 wieder. So stand Vogelsang im Winter 1945/46 leer. Während dieser Zeit verschwanden viele Möbel und Einrichtungsgegenstände. Die Bevölkerung der benachbarten Ortschaften demontierte und raffte zusammen, was nicht niet- und nagelfest war. Im Vergleich zur Burg selber waren die Städte Gemünd und Schieiden sowie die meisten Dörfer stark zerstört. Es ist bekannt, dass viele Bauern neugierig durch die ehemalige Ordensburg gingen und erstmals die Räumlichkeiten des Parteibauwerkes betrachteten, von denen sie im Dritten Reich nur aus der Zeitung erfahren hatten. Noch waren sämtliche nationalsozialistischen Hoheitszeichen und Skulpturen zu sehen. Im Juni 1946 entschlossen sich die Briten endgültig, aus der Burg Vogelsang einen Truppenübungsplatz zu machen. Sie nahmen für sich das Recht in Anspruch, das Gebiet um. die Burg auf 6354 Hektar zu erweitern, so dass das Dorf Wollseifen geräumt werden mußte.

Ober die englische Epoche soll hier nicht weiter berichtet werden. Es erscheint aber dem Chronisten wichtig, dass die Engländer weiterhin das Gerücht vom angeblichen „Lebensborn" und der „Züchtung rassisch wertvollen Nachwuchses" verbreiteten. Im Juni 1947 veröffentlichte die englische Soldatenzeitung „Soldier" eine Reportage über Vogelsang. Hier war noch immer vom „Schrein Adolf Hitlers", von vielen namenlosen Kindern*4 und der „Verehrung Hitlers als Gott" die Rede. Außerdem wurde detailliert beschrieben, wie angeblich diese „Zucht" auf der ehemaligen Ordensburg Vogelsang bewerkstelligt wurde: Im Kulturraum schwor jeder Deutsche dem christlichen Glauben ab. Dann gingen die blonden Mädchen, „die dem Typ des Herrenmenschen entsprachen, wie er in der widerlichen Philosophie von Alfred Rosenberg festgelegt war", in das Burggebäude, um dort gewissermaßen „Babies für das Vaterland" zu bekommen. Im Hörsaal suchte man sich dann angeblich unter all den vielen Junkern den Vater des künftigen Babys aus... Der englische Artikel endete mit der Feststellung, dass die künftige Mutter bis zur Niederkunft in der Burg bleiben konnte, wo sie jeglicher Luxus erwartete. Es ist erstaunlich, dass sich bis heute solche Gerüchte hartnäckig halten konnten. Die Archivunterlagen beweisen zudem, dass die Engländer bis 1950 nicht in der Lage waren, das „Phänomen Vogelsang" zu bewältigen. Ihre peinliche Suche nach Fotos von ehemaligen Junkern und Schatztruhen am Ufer des Urftsees bleiben Insidern unvergessen. In der gesamten englischen Presse wurde im April 1948 bejubelt, dass man endlich einen Gärtner aus der Umgebung der ehemaligen Ordensburg Vogelsang gefunden hätte, der bereit sei, über die tatsächliche Funktion der Burg zu berichten und Fotos zu besorgen. Die ehemalige Ordensburg Vogelsang sollte eine „Herrenrasse" und politisch zuverlässige Nachwuchsführer der NSDAP heranbilden. Doch die Zeit ließ diese ursprüngliche Bestimmung im Dunkel der Geschichte verbleiben: Seitdem 1. April 1950 üben auf dem belgischen Gelände der Burg Vogelsang auch die Soldaten der westlichen demokratischen Staaten Seite an Seite, um die Freiheit unserer europäischen Länder zu gewährleisten.

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link NS-Ordensburg Vogelsang: Irritationen um Aufarbeitung der Geschichte

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