Vergangenheitsbewältigung durch deutsch-israelische Partnerschaft:
Ein Rückblick auf die Aktivitäten des Dorfes Flamersheim

von Hans-Dieter Arntz
07.09.2007

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Mehr als zwei Jahrzehnte ist es jetzt her, seitdem sich der Euskirchener Stadtteil Flamersheim  erstmals bewusst um die „Aufarbeitung der jüngsten Geschichte“ bemühte. Im Jahre 1984 gab es ein viertägiges Wiedersehensfest mit ehemals hier beheimateten jüdischen Mitbürgern, über das das Fernsehen in einer halbstündigen Sendung berichtete. Das Buch Wir in Flamersheim bereitete das Treffen vor; die Historie der Juden von Flamersheim wurde in einer Kurzfassung jedem Dorfbewohner zugänglich gemacht. Ein Jahr später reisten die Flamersheimer nach Israel, um die Freundschaft zu bekräftigen.

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Hier gab es auch Begegnungen mit den Angehörigen des berühmten Josef („Jupp“) Weiss, der damals noch in Deutschland unbekannt war. Heute kennt ihn zumindest die Fachliteratur als den charismatischen „Judenältesten von Bergen-Belsen“, nach dem jetzt in absehbarer Zeit eine Straße in Flamersheim benannt werden soll. Ein diesbezüglicher Antrag läuft bei der Stadtverwaltung Euskirchen seit Juni 2006.

Der Euskirchener Lokalteil der Kölnischen Rundschau berichtete am 9. April 1985 über das Treffen der Flamersheimer mit den nun in Israel beheimateten ehemaligen jüdischen Mitbürgern. Aus dieser Begegnung sind seitdem viele private Begegnungen und Freundschaften entstanden. Was damals vor 22/23 Jahren begann, soll nun bald mit einer „Josef-Weiss-Straße“ zumindest äußerlich abgerundet werden.

 

Vergangenheitsbewältigung durch deutsch-israelische Partnerschaft

(Aus: Kölnische Rundschau, Lokalteil Euskirchen, vom 9. April 1985)

 

26 Flamersheimer und deren Freunde besuchten Israel. Als Vertreter des einstigen „Judendorfes" Flamersheim, das um die Jahrhundertwende etwa 13 Prozent jüdische Ein­wohner hatte und sich selbst zur Zeit des Nationalsozialis­mus deutlich von anderen Ort­schaften unterschied, wollten sie nicht die obligatorische Isra­el-Rundfahrt machen, sondern auch ehemals in der Voreifel beheimatete Juden besuchen.

Höhepunkt der Fahrt war allerdings der Freundschafts­pakt mit Tirat Hacarmel, einer neun Kilometer von Haifa ent­fernten Ortschaft. Diese freundschaftliche Beziehung soll in Zukunft nicht allein von Flamersheim, sondern auch von den Bürgern der Kreisstadt Euskirchen mit Leben erfüllt werden. Erst dann soll eventuell eine offizielle Partnerschaft mit dem israelischen Ort angestrebt werden.

Flamersheim  ist die erste Ortschaft im Kreis Euskirchen, die sich bisher erfolg­reich um eine deutsch-israelische Kontaktaufnahme verdient gemacht hat.

Die elftägige Fahrt durch Israel wurde von Ernst Ueckert, einst Vorsitzender des Flamersheimer Vereinskartells, als Vi­deo-Dokumentation festgehal­ten. Die Dorfbewohner werden in absehbarer Zeit Gelegenheit haben, einen Teil ihrer zukünf­tigen Dorfchronik miterleben zu können.

„JUDAICA"- Autor Hans-Dieter Arntz hatte die Reise organi­siert und auch für die vielen persönlichen Begegnungen gesorgt. So lernte man unter anderem die Söhne des legen­dären Jupp Weiss aus Flamers­heim kennen, der als Judenälte­ster von Bergen-Belsen histori­sche Bedeutung erlangt hat. Auch die Söhne des Synagogen­vorstehers, Erwin und Kurt Weiss, sowie u.a. Lotte und Erna Herz oder Sigi Oster wurden von der Flamersheimer Delegation besucht.

In Israel hatten sich alle bemüht, den Flamersheimern einen herzlichen Empfang zu bereiten. Die großen Orangen­plantagen und Treibhäuser von Erwin Weiss in Giwat Chen imponierten ungemein und machten den Unterschied des auf Privatbesitz beruhenden Moshav im Gegensatz zum so­zialistisch geführten Kibbuz deutlich.

Ergriffen standen die Flamersheimer in dem kleinen Gebetshaus von Raanana, das religiöses und kulturelles Zentrum der aus Deutschland emi­grierten Juden geblieben ist. Im Gegensatz zu den vielen ande­ren jüdischen Gemeinschaften, die in den großen Synagogen der Stadt ihren Mittelpunkt haben, konn­ten sich die „Jeckes", wie die aus Deutschland emigrierten Juden offiziell bezeichnet wer­den, ihr Eigenleben bewahren. Dies findet sogar in der Liturgie des jüdischen Gottesdienstes noch heute seinen Widerhall. Vorbeter ist Kurt Weiss, der den Flamersheimern auch die aus der Heimat nach Raanana gerette Thorarolle zeigen konnte.


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Die deutschsprachige Zei­tung „Israel-Nachrichten" hatte ihre Leser auf die Gruppe aus dem „Judendorf  Flamersheim" vorbereitet. Schon im letzten Jahr war das viertägige Wieder­sehenstreffen mit ehemals in Flamersheim beheimateten Ju­den in einem halbseitigen Be­richt wiedergegeben worden. Daher war es nicht verwunder­lich, dass der Vortragsraum im Auditorium der Stadt Haifa überfüllt war, als „JUDAICA"- Autor Arntz einen Vortrag über das Thema „Bewältigung der Vergangenheit - ermutigende und enttäuschende Ansätze im Rheinland" hielt.

Die anschließende Diskussion mit den meist deutschspra­chigen Hörern wird auch den Flamersheimern in Erinnerung bleiben.

Was nicht jeder deutschen Gruppe ermöglicht wird, war für die Flamersheimer selbst­verständlich. Die Verwaltung der über 300 000 Einwohner zählenden Stadt Haifa lud die Gruppe zum Empfang ein. Der stellvertretende Bürgermeister, Dr. Erich Loeb, begrüßte die Dorfbewohner und lobte deren vorbildliche Aktivität zur „Aufarbeitung deutsch-jüdischer Vergangenheit". Zum Anden­ken bekamen die Flamershei­mer eine kleine Fahne der Stadt Haifa.

Dank der Mitwirkung des deutschen Botschafters in Israel, Dr. Niels Hansen, und des Israelischen Städtetages konn­te dem Wunsch von Euskirchen-Flamersheim entsprochen werden, eine freund­schaftliche Verbindung mit einem Ort in Israel herzustellen. Die 18 000 Einwohner zählende Industriestadt Tirat Hacarmel ist zwar anders als Euskirchen und Flamersheim strukturiert, ist aber ähnlich daran interessiert, deutsch-jüdische Begegnungen zu fördern. Insofern nimmt auch Tirat in Israel eine Sonderstellung ein. Auch hier ist längst nicht jede Gemeinde bereit, in dieser Form Vergan­genheit aufzuarbeiten.

Die persönliche Kontaktauf­nahme fand am Sonntag, 31. März, statt. Bürgermeister Reuwen Diener empfing die Flamersheimer im Gymnasium von Tirat Hacarmel und lobte die Privatinitiative der Gäste. Der Stadtdirektor und der Gemeinderat waren anwesend, als in zwei Sprachen die zukünftige Freundschaft begründet wurde. Als Geschenk der Stadt Euskir­chen überreichte Hans-Dieter Arntz den neuen Bildband der Kreisstadt, den die Stadtverwaltung hierfür mitgegeben hatte. Auch die Dokumentation über das letzte Flamersheim-Treffen und das Heimatbuch „Wir in Flamersheim" informie­ren künftig die Bewohner von Tirat über die Aktivitäten im deut­schen Partnerort.

Die Reise der Flamersheimer Gruppe durch Israel mit den vielen persönlichen Aktivitäten gewinnt insofern an Bedeutung, als sich die Stadt Euskir­chen entschlossen hat, in der zweiten Septemberhälfte 1986 ein Treffen mit ehemals hier beheimateten jüdischen Mitbürgern zu veranstalten.

 

vergangenheitsbewaeltigung03 Ein Teil der Flamersheimer Delegation stellte sich in Jerusalem zum Gruppenfoto auf.

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