Miriam Brudermann geb. Fernbach aus Schleiden erlebt die posthume Ehrung ihrer Lebensretterin durch Yad Vashem

Quelle: BILD-Zeitung (bild.plus) v. 22. November 2016: Wie die Jüdin Miriam den Nazi-Terror überlebte „Eine Deutsche hat mich vor der SS gerettet“ (Ein Bericht von Peter Tiede und Christoph Michaelis)
17.12.2016

Einführung von Hans-Dieter Arntz

Mit besonderer Erlaubnis der Redaktion von BILDplus kann ich heute einen Artikel auf meiner Homepage publizieren, der sich mit einem jüdischen Schicksal befasst, das in die Eifel zurückführt.Es geht um Miriam Brudermann geb. Fernbach, die 1930 in Schleiden geboren wurde und wegen ihres Judentums verfolgt wurde.

Im Verlauf der Recherchen zu meinem im Jahre 1990 erschienen Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischem Grenzgebiet machte ich die Bekanntschaft mit den beiden Töchtern des jüdischen Religionslehrers in Hellenthal/Blumenthal, Moses Fernbach, und konnte danach auch Kontakte zu ehemaligen Nachbarn in Schleiden und Kall vermitteln. Auch in meinen Online-Artikeln konnte ich das Schicksal der Familie Fernbach darstellen. Vgl.:

Ein jüdischer Religionslehrer aus Schleiden gehörte zu den Mitbegründern der Berliner Synagogengemeinde (1945)

Erinnerung an das Judentum in Schleiden und Hellenthal: Eine Gedenkplatte für den jüdischen Religionslehrer Moses Fernbach

Moses Fernbach aus der Eifel baut die jüdische Gemeinde von Berlin wieder auf (1947)

Das Leben der damals 15jährigen Miriam Fernbach, deren Leben von der verdienstvollen Gutsfrau Mathilde Böckelmann (1907-1978) in Greifswald bei Kriegsende gerettet wurde, konnte inzwischen von der Geschichtslehrerin Petra Klawitter in zweijähriger Arbeit erforscht werden. Es stellte sich heraus, dass dadurch das jüdische Mädchen Miriam vor dem Holocaust bewahrt wurde. Vor einigen Wochen wurde nun Mathilde Böckelmann von die Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) mit der Medaille „Gerechter unter den Völkern“ posthum gewürdigt. Früher schon andere Helfer, dann aber schließlich Mathilde Böckelmann bewahrten die aus Schleiden stammende Miriam vor dem Tode. Die ARD-Mediathek zeigt zu diesem Sachverhalt einen dreiminütigen Film.

Da Miriam Brudermann geb. Fernbach aus der Eifel stammt, ist folgender Artikel von BILDplus interessant:

Wie die Jüdin Miriam den Nazi-Terror überlebte „Eine Deutsche
hat mich vor der SS gerettet“

von Peter Tiede und Christoph Michaelis (BILD-Zeitung (Bildplus)

 

 

Die Angst kam erst später. Nach dem Krieg. Mit dem Frieden. Bis dahin fühlt das Mädchen vor allem zwei Dinge: „Alleinsein und Vorsicht.“

Als 15-Jährige kam Miriam Brudermann nach Vorpommern. Foto: Christoph Michaelis

Miriam Fernbach ist 15 Jahre alt, als der Krieg in Vorpommern im Mai 1945 mit der Ankunft der Roten Armee endet. Da hat sie Angst vor Vergewaltigung, erwehrt sich nur mit Gewalt. Erst jetzt hat sie Angst. Nur nicht mehr vor dem Tod. Schreck folgt auf Grauen.

Als die Russen kommen, ist sie seit vier Jahren auf der Flucht, seit drei Jahren ist das jüdische Mädchen untergetaucht, versteckt bei deutschen Familien. Miriams Vater, vor dem Krieg Lehrer an einer jüdischen Schule in Schleiden in der Eifel, war mit Frau und Tochter nach Berlin geflohen – in letzter Minute, bevor sie ins KZ sollten. Die Eltern tauchten in Berlin unter, der Vater mit einem gefälschten Arbeitsausweis.

Die Schwester ist mit einem der letzten Kindertransporte 1939 nach Palästina entkommen. Sie selbst: ganz allein.

Heute ist das Kriegsmädchen 86 Jahre alt, heißt Miriam Brudermann und ist mit ihrem Mann Israel (89) nach Greifswald gekommen. Sie will dabei sein, wenn die Frau, die sie selbstlos rettete, sie versteckte und „wirklich gut behandelte“, geehrt wird: Posthum wird die Gutsfrau Mathilde Böckelmann (1907-1978) von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit der Medaille „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.

NS-Zeit

Die Retterin: Mathilde Böckelmann mit Tochter Christa, die heute die Ehrung entgegennehmen wird.
Foto: Christoph Michaelis

Es ist DIE Ehrung für Nicht-Juden, die im Zweiten Weltkrieg selbstlos und ohne Gegenleistung Juden gerettet haben. 60 000 Menschen wurden bisher so geehrt. Darunter 580 Deutsche.

Bevor sie zu Mathilde Böckelmann kommt, war Miriam zwei Jahre bei einer Familie in Berlin-Kaulsdorf versteckt.
„Ich musste sehr hart arbeiten, bei den Schweinen und auf dem Hof der Familie. Ich war dort sicher, aber es war sehr hart“, erinnert sich Miriam Brudermann. Und auch daran: Der Hofherr war beim Sicherheitsdienst der SS, seine Tochter Chauffeurin eines SS-Offiziers. Der nannte das jüdische Mädchen, das die Familie gegen 300 Mark im Monat versteckte, bei einem Essen „ein wirklich rassiges Mädchen“. Sie dachte nur: „Wenn du wüsstest ...“.

Miriam ist einsam, liest und singt viel (vor allem „Heidenröslein“). Sie muss „wirklich sehr, sehr hart arbeiten“, hat „Erziehung, aber keine Bildung“, kann nicht zur Schule, lernt nie zu lernen. „Bis heute leide ich unter Minderwertigkeitsgefühlen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Erinnerungslücken“, erzählt Miriam Brudermann. „Ganze Phasen liegen im Dunkeln. auch die Erinnerung an Frau Böckelmann kam erst langsam zurück.“

Wenn sie ihre Ruhe will in Kaulsdorf, steigt sie in die Hofkastanie. Ende 1942 kommen die Bomben näher – und das Mädchen kann nicht mehr. „Die Arbeit auf dem Hof war wirklich zu schwer. Ich war doch ein Kind.“

Kurz nach Neujahr 1945 kommt sie weg aus Berlin. Die Eltern haben Kontakt nach Vorpommern. Der Vater bringt Mathilde mit dem Zug nach Pustow, einem Dorf im Nirgendwo vor Greifswald. „Meine Eltern, das waren Helden. Die haben uns durch den Krieg gebracht, alles organisiert – vor allem mein Vater.“

Höchste Ehre: Die Yad-Vashem-Medaille „Gerechte unter den Völkern“ für Mathilde Böckelmann.
Foto: Christoph Michaelis

Der bringt sie zu Gutsherrin Mathilde Böckelmann (damals 35) und deren Tochter Christa (damals 5). Als sie den Hof und „das große Haus“ sieht, ist sie überwältigt. „Pustow war das Paradies: Ich war frei und hatte endlich Ruhe.“

Sie bekommt ihr eigenes Zimmer „und gut zu essen, auch Fleisch“, das ihr in Kaulsdorf auf dem Kuh- und Schweine-Hof verweigert wurde. Sie lernt und arbeitet in der Küche und im Haushalt als Hausmädchen. Mathilde Böckelmann nimmt kein Geld. Sie weiß, dass das Mädchen ein jüdisches ist; sonst niemand.

Sie riskiert viel für ein Kind, das sie nicht kennt. Miriam Böckelmann erzählt: „Ihr Mann ist damals im Krieg – als Offizier“. Der Mann jagt und schickt im Osten Juden ins Gas. Seine Frau rettet daheim ein „Juden-Kind“.

Miriam Brudermann liebt deutsche Literatur, die Klassiker: „Neben meinem Bett stehen Goethe, Heine und Schiller“. Ihr Lieblingsgedicht: „Donna Clara von Heine“ – ausgerechnet die Liebes-Parabel von der antisemitischen Bürgermeister-Tochter und dem jüdischen Ritter.

Doch trotz der Liebe zum Deutschen: „Ich habe mit meinen Kindern nicht Deutsch gesprochen.“ Warum nicht? „Ich kann auf Deutsch nicht liebkosen. Manchmal probiere ich es heute – aber es geht nicht.“

Treffen: Israel Brudermann (89) begleitete seine Frau Miriam zum Gespräch
mit BILD-Reporter Peter Tiede.
Foto: Christoph Michaelis

 

Sie fühlt nichts Schlimmes, wenn sie an das Deutschland heute denkt. Doch es ist ein bitteres Nichtsschlechtesdenken: „Ein Land wie jedes andere. Ich fühle nichts Positives und nichts Negatives – Antisemitismus gibt es überall, nicht nur in Deutschland. Ich habe gelernt, dass man uns Juden nicht sonderlich mag.“

„Heute“, sagt Miriam Brudermann, „freue ich mich einfach nur, dass Mathilde Bröckelmann geehrt wird.“ Sie zitiert den Talmud-Spruch „Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt“, und sagt: „Ohne Frau Böckelmann gäbe es meine Welt nicht: mich, meine drei Kinder, sechs Enkel und meine zwei Urenkel.“

Kann sie Deutschen vertrauen? „Ja, das kann ich. Denn wir hatten deutsche Helfer.“

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