Jüdisches Kulturzentrum und Synagoge Veitshöchheim: Ein Vorbild für die Rekonstruktion von „Landynagogen“ und jüdischer Kultur  

von Hans-Dieter Arntz
30.05.2008

Am 2. Februar 2008 erschien auf dieser regionalhistorischen Homepage der Beitrag „Zwei vergessene und daher erhalten gebliebene Landsynagogen in der Voreifel: Lommersum und Sinzenich“, der nicht nur Interesse in Kreisen des Denkmalschutzes, sondern auch bei denjenigen fand, die sich mit der Geschichte des Judentums und dessen regionalen Spuren befassen. Der Euskirchener Wochenspiegel vom 20. Februar berichtete später hierüber. In diesem Zusammenhang wurde ich auf das „Jüdische Kulturzentrum und Synagoge Veitshöchheim“ bei Würzburg aufmerksam gemacht und erhielt die Möglichkeit, mich von der Leistung engagierter Menschen zu überzeugen. Selten habe ich eine derart beeindruckende Landsynagoge mit dazugehörigen Anbauten gesehen.

 

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Ob nun Mitglieder der Simon-Höchheimer-Gesellschaft,  Angestellte der Gemeindeverwaltung oder ehrenamtliche Mitarbeiter an diesem seit etwa 20 Jahren laufenden Projekt  „Jüdisches Kulturmuseum“ mitgewirkt haben, sie alle haben mit nur beschränkten finanziellen Mitteln etwas geschaffen, was ich als Vorbild für die Rekonstruktion von „Landsynagogen“ und jüdischer Kultur bezeichnen möchte.

In der Eifel und Voreifel gab es nur wenige jüdische Betstuben und kleine Bethäuser. Sie waren von ihrer Größe her sehr unauffällig und fast immer in privatem Besitz, so dass sie daher vor der „Reichskristallnacht“ unspektakulär von dem ausreisewilligen Inhaber in „arischen“ Besitz übertragen werden konnten. Daher blieben sie – oft unerkannt – in Form von Wohnräumen erhalten. Dagegen zündete man die großen Synagogen in Euskirchen, Zülpich, Gemünd oder Blumenthal wie auch die kleineren in Weilerswist, Mechernich, Mechernich, Kommern oder Kall beim Novemberpogrom 1938 an. Dass aber „Landsynagogen“, die ihre Bezeichnung von der Größe her wirklich verdienen, so rekonstruiert werden können wie in Veitshöchheim und nach dem Holocaust kulturelles und religiöses Judentum außerhalb der Städte noch widerspiegeln, ist erfreulich und nachahmenswert.

 

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Aufgrund einer Einladung lernte ich neulich das „Jüdische Kulturmuseum und die Synagoge Veitshöchheim“ kennen, eine kulturelle Institution, bei deren Besichtigung  mich Frau Dr. Martina Edelmann vom Kulturamt/Jüdisches Kulturmuseum begleitete. Hier bekam ich einen lebendigen Eindruck von einer „Landsynagoge“, die man wirklich unbedingt besuchen sollte. Einige meiner Fotos sollen dies beweisen.

Die Eifeler und Voreifeler Regionalhistorie sollte auch über den „Tellerrand“ blicken. Die Besichtigung dieser Synagoge in Bayern ermöglicht zudem einen Bezug zu den neulich erwähnten „jüdischen Bethäusern“ in Lommersum und Sinzenich, die ich jetzt nicht mehr unbedingt als „typische „Landsynagogen“ bezeichnen würde. Veitshöchheim hat mich diesbezüglich vielleicht eines Besseren belehrt. Der Begriff „Bethäuser“ wäre angebrachter.

 

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Veitshöchheim ist eine Gemeinde im unterfränkischen Landkreis Würzburg und liegt unmittelbar am Main. Der Ort hat etwas mehr als 10.000 Einwohner, ist aber wegen seiner Sehenswürdigkeiten im Altort ein beliebtes Ausflugsziel. Der Einfluss der nahen Großstadt Würzburg spiegelt sich in dem 1680–1682 unter Fürstbischof von Dernbach erbauten Schloss, einem berühmten Rokokogarten, einem Kavaliersbau (heute Rathaus) und beeindruckenden Gebäuden aus dem 16./17 Jahrhundert.   

Um 1730 wurde die Synagoge als Zentrum der bis 1942 in Veitshöchheim ansässigen jüdischen Gemeinde erbaut. Nach der Zwangsübergabe im Jahr 1938 an die Ge­meinde Veitshöchheim erfolgte 1940 der Umbau zum Feuerwehrhaus. Nach der Entdeckung zahlreicher Überreste konnte zwischen 1986 und 1994 die ursprüngliche Inneneinrichtung aus der Barockzeit vollständig wiederhergestellt werden. Im Dachboden der Synagoge entdeckte man eine um­fangreiche Genisa (Textablage). Wichtige Teile dieser Genisa sind im Jüdischen Kulturmuseum, einem ehemaligen jüdischen Wohnhaus direkt neben der Synagoge, ausgestellt. Sie informieren über jüdische Religion und über die Geschichte der Juden in Veitshöchheim und Franken. Zu besichtigen sind außerdem die ehemalige Wohnung des Vorsängers und ein Ritualbad, Thüngersheimer Straße 17.

 

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Die Öffnungszeiten sind von März bis Oktober: Donnerstag 15-18 Uhr, Sonntag 14-17 Uhr. Außerhalb der Öffnungszeiten und von November bis Februar: nach Vereinbarung. Gruppenführungen nach Voranmeldung bei der Gemeinde Veitshöchheim.

Da die recht große Anlage immer weiter vervollständigt werden soll, sind weitere jüdische Dokumente, Relikte, Bilder  und Erinnerungsstücke aus der Region willkommen. Sie würden in Veitshöchheim einen exemplarischen Stellenwert erhalten. Einzelheiten erfährt man über einen Prospekt der Touristik GmbH  im Würzburger Land: info@wuerzburgerland.de

Die Synagoge

Zwischen 1727 und 1730 ließ Schmul Moses, ein Veitshöchheimer Jude, die Synagoge erbauen. Die äußere Bauform ist einheimischer Bauweise angeglichen, das Innere birgt ein barockes, tonnenüberwölbtes jüdisches Bethaus mit zentraler Bima (Lesekanzel) und Toraschrein.

1938 musste die Synagoge von der nur noch 12 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde für 200 Reichsmark an die politische Gemeinde Veitshöchheim abgegeben werden. 1940 wurde sie dann in ein Feuerwehrhaus umgebaut. Der Besitzwechsel bewahrte die Synagoge jedoch vor Zerstörung oder Beschädigung in der Pogromnacht vom 9. November 1938. Bei Umbau- und Renovierungsarbeiten in der Synagoge wurden 1986 im Boden große Teile der alten Innenein­richtung gefunden. Mit Hilfe dieser Originalfragmente und von Fotografien aus dem Jahr 1926 konnte die Veitshöchheimer Synagoge komplett wieder hergestellt werden. Damit ist sie die einzige vollständig eingerichtete historische Synagoge im Raum Unterfranken.

Vorsängerwohnung

Der Vorsänger und Lehrer der jüdischen Gemeinde in Veitshöchheim lebte in einer Wohnung direkt im Syn­agogengebäude. Er leitete die Gottesdienste und hielt den Schulunterricht. Die vier Zimmer der ehemaligen Wohnung werden heute als Museumsräume genutzt, in denen das jüdische Schulwesen und die Geschichte der Synagoge Veitshöchheim dargestellt sind.

Die Mikwe

Im Synagogengebäude befindet sich eine Mikwe (Ritualbad), die mit Grundwasser gespeist und für ritu­elle Waschungen genutzt wurde.

Die Genisa

Während der Renovierungsarbeiten in der Synagoge entdeckte man dort im Dachboden eine umfangreiche Ablage religiöser Schriften, einiger Textilien und religiö­ser Kultgegenstände wie etwa Gebetsriemen. Dabei handelt es sich um eine Genisa, wie sie in vielen alten Synagogen existierte. Dort werden unbrauchbar gewordene Schriften abgelegt, die nach religiöser Vor­schrift nicht vernichtet werden dürfen. Die Veitshöchheimer Genisa ist die  umfangreichste ihrer Art, die bislang im deutschsprachigen Raum entdeckt wurde. Neben religiösem Schrifttum wie Bibeln, Gebetbüchern, Einzelgebeten oder rabbinischen Auslegungen sind zahlreiche weltliche Texte wie etwa Mär­chen, allgemeine Erbauungsliteratur oder historische Werke erhalten.  In großer Zahl wurde auch hand­schriftliches Material abgelegt, so beispielsweise Rechnungen, Briefe oder Notizbücher. Die Texte sind in hebräischer, jiddischer oder deut­scher Sprache verfasst und stammen vorwiegend aus dem 17.- 19. Jahrhundert.

Das Jüdische Kulturmuseum

Das Jüdische Kulturmuseum Veitshöchheim ist in einem ehemaligen Wohnhaus aus dem frühen 18. Jahrhundert untergebracht. Eine Jahreszahl im Dachboden (1739) weist auf die Zeit der Erbauung hin. Hebräische In­schriften im Dachboden sind Zeugnisse der jüdischen Familien, die hier lebten. Bis ca. 1850 war das heutige Museumsgebäude in jüdischem Besitz. Nach der Auffindung der Genisa im Dachboden der Synagoge erwarb die Gemeinde Veitshöchheim das mittlerweile baufällige Anwesen und baute es zu einem Museum um. Die ursprüngliche Anordnung der Räume wurde beibehalten, um den Charakter eines Wohnhau­ses nicht zu zerstören. Als Grundlage der Ausstellung dienen wichtige Stücke aus der Genisa. Die angespro­chenen Themenbereiche bieten einen Einblick in jüdi­sche Religion und Literatur, erzählen vom Leben einer jüdischen Landgemeinde und von der Geschichte der Juden in Veitshöchheim und Franken.

Die jüdische Gemeinde von Veitshöchheim

Nach dem Mittelalter wurden viele Juden aus den großen deutschen Städten ausgewiesen, so auch aus Würzburg. Es bildeten sich besonders in Süddeutschland viele jüdische Gemeinden auf dem Land. Vor diesem historischen Hintergrund entstand die jüdische Gemeinde von Veitshöchheim, wo die ersten jüdischen Familien 1644 bezeugt sind. Kontinuierlich wuchs die Zahl der Juden in Veitshöchheim, und um 1840 waren es etwa 150 Personen.

Waren die meisten Veitshöchheimer Juden im 18. Jahrhundert wie überall in den Landgemeinden arme, einfa­che Händler, die oft Mühe hatten, die zahllosen Abga­ben, die speziell ihnen auferlegt wurden, zu zahlen, so änderte sich die Situation im 19. Jahrhundert. In einem langwierigen und wechselvollen Prozess wurde die rechtliche Gleichstellung der Juden erreicht. Erst ab dann war es den Juden erlaubt, ein Handwerk auszu­üben, Landwirtschaft zu betreiben oder sich den Wohnsitz frei zu wählen. In Veitshöchheim entstanden einige kleinere jüdische Handwerksbetriebe wie etwa eine Kunstweberei oder eine Schneiderei. Gleichzeitig wanderten viele Veitshöchheimer Juden in die nahe ge­legene Mainmetropole Würzburg und in andere Städte ab, wo sie bessere Lebens-, Beschäftigungs- und Aus­bildungsmöglichkeiten vorfanden. Um 1900 lebten zwischen 50 und 70 Juden in Veitshöchheim. Die jüdischen Mitbürger waren in das Gemeindeleben integriert. Viele von ihnen enga­gierten sich politisch oder gesellschaftlich im Dorfge­schehen. Auch die Teilnahme am Krieg von 1870 und am 1. Weltkrieg war für die meisten Juden selbstver­ständlich.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsoziali­sten erkannten viele Veitshöchheimer Juden die verheerenden Zeichen der Zeit und wanderten in die Verei­nigten Staaten, nach England oder Palästina aus. Die jüdische Gemeinde war ausgelöscht, als die letzten fünf noch in Veitshöchheim lebenden Juden 1942 in die Konzentrationslager deportiert und dort ermordet werden.

 

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