Jüdische Familie Hartoch aus Euskirchen hat nach 71 Jahren wieder die deutsche Staatsangehörigkeit

von Hans-Dieter Arntz
29.09.2010

Der genealogische Lebenskreislauf der jüdischen Familie Hartoch aus Euskirchen hat sich nach 71 Jahren geschlossen: 1939 aus Deutschland vertrieben, Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, Leben in der Emigration, amerikanischer Bürger in den USA und seit dem Mai 2010 wieder deutsche Staatsangehörige. Kurt (Heinz) Hartoch, am 16. Oktober 1927 in Euskirchen geboren, besucht in den nächsten Tagen erstmals wieder seine Heimatstadt. Stolz kann er ein Foto zeigen, das sein Sohn mit folgender Inschrift versehen hat: "71 years (exactly!!!) after my Dad, my Oma and my Opa fled Nazi Germany (on May 12, 1939), Sam and I are granted German citizenship!"

 

Hartoch

 

Der 82jährige Kurt Hartoch, der mit seiner Familie in der Neustraß2 31 wohnte und im Euskirchener Krankenhaus geboren wurde, wird in der nächsten Woche nachdenklich vor der Parfümerie Douglas stehen. Wenn auch sein Geburtshaus im 2. Weltkrieg zerstört wurde, so ist das Straßenbild doch insgesamt geblieben. Aufgrund der hiesigen Nazi-Schikanen war die jüdische Familie zuerst nach Siegburg, dann nach Köln verzogen. Ob es noch Angehörige der ehemaligen Hausbewohner gibt, weiß er nicht. Es handelt sich wohl um den Fotografen Block, die Besitzer der Feinkosthandlung Hermann Burmeister und das Ehepaar Roman Zug, die zumindest noch 1938 im Hause wohnhaft waren.

Hartoch

Ursprünglich kam sein Vater, Salli Hartoch mit Ehefrau, aus dem Aachener Raum, als er sich in den 1920er Jahren in Euskirchen niederließ. Hier wurde Kurt auch geboren. Der Nationalsozialismus bestimmte auch bei der dieser Euskirchener Familie die nächste Zukunft. Als Schüler besuchte Kurt in Köln die jüdische Schule. Heute erinnert er sich noch lebhaft an den Morgen nach der Reichspogromnacht. Er sei zur Jawne gegangen, aber die Lehrer hätten die Kinder nach Hause geschickt, um sie zu schützen. Er sei, weil er sich blond und blauäugig sicher fühlte zur Synagoge in der Roonstraße gelaufen, die noch qualmte. Einen herumstehenden Feuerwehrmann habe er gefragt, was dieser mache und warum er nichts lösche. Daraufhin habe dieser erklärt, dass er nur die Aufgabe habe, das Übergreifen des Feuers auf die Nachbarhäuser zu vermeiden.

Die Familie hatte Geschäftsräume in der Genter Straße. Salli Hartoch war Geschäftsmann und hatte vor der Reichsprogromnacht die Kölner Nationalsozialisten immer noch nicht ernst genommen. Das erkennt man daran, dass er selbst ein großes Schild geschrieben und mit folgender Aufschrift ins Fenster gehängt: „Dieses Geschäft wurde bereits arisiert." Daraufhin habe die Familie einige Zeit unbehelligt in den Räumen leben können. Nach der Reichsprogromnacht bemühte sich die Familie um die Ausreise in die USA.

Weil sie aber dort nur einen zu alten und einen zu jungen Verwandten hatten, die zu bürgen bereit waren, erhielten sie kein Visum für die USA. Daraufhin ließ sich der Vater folgendes einfallen: Da ihm klar war, dass die Familie kein Geld werde mitnehmen dürfen, kaufte er eine Maschine zur Sodaherstellung und ließ sie nach Hamburg zur Ausschiffung in die USA verbringen. Den Nachweis über die eingelagerte Soda-Maschine legte er der US-Botschaft vor und erklärte, dass er mit dieser Maschine in den USA für 20 Menschen Arbeit schaffen werde. Somit erhielt die Einreisebewilligung. In den USA angekommen stellte er fest, dass ein amerikanischer Hersteller von schwarzer Brause (Coca-Cola) derartig günstig Soda herstellte, dass er die Soda-Maschine überhaupt nicht vom Hafen abholte.

Die Familie Hartoch lebt seitdem in den USA, hat zwei Kinder und ein Enkelkind.

Sein Sohn teilte im Mai mit, dass die Familie samt Enkel von Kurt Hartoch Deutsche und Europäer geworden sind: "71 years (exactly!!!) after my Dad, my Oma and my Opa fled Nazi Germany (on May 12, 1939), Sam and I are granted German citizenship!"

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