Die Zerstörung des Eisenbahnzentrums Euskirchen (1944)
Der letzte Fahrdienstleiter einer Frontstadt

von Hans-Dieter Arntz
23.01.2007

Die umfangreichen Dokumentationen Kriegsende 1944/45 zwischen Ardennen und Rhein (1984) und Kriegsende 1944/45 im Altkreis Euskirchen (1994) stellen mit vielen Fotos und Augenzeugenberichten das Ende des 2.Weltkrieges  in der Voreifel dar. Spätestens seit dem Fall der Stadt Aachen und den Kämpfen im Hürtgenwald wurde die Kreisstadt Euskirchen zur Frontstadt.

Als Eisenbahnzentrum waren die Gleisanlagen nach Bonn,Köln, Düren und Schleiden umkämpft. Sie wurden beinahe täglich von amerikanischen und englischen Bombern zerstört. Hunderte von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen waren meist bei Nacht im Einsatz, um das Schienennetz notdürftig zu reparieren. Im Januar 1945 wurde sogar eine „Notbahn“ auf den gefrorenen Boden  gelegt; jedoch stürzte der erste Zug bei Tauwetter in die Böschung.

Etwa bis Weihnachten 1944 gab es auch noch Züge, die die deutschen Soldaten an die Front brachten. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es sogar noch einen Fahrdienstleiter, der mit preußischer Pflichtauffassung seinen Dienst versah.

In den bereits genannten Büchern – auf den Seiten 472/473 bzw. 198/199 – berichtet Peter Schiffer von seinen Eindrücken und den Kampf um das Eisenbahnzentrum Euskirchen. Das jeweilige Kapitel lautet: „Der letzte Fahrdienstleiter von Euskirchen“.

Jeder, der seit Kriegsende den Euskirchener Karneval und Chorgesang bewußt erlebt hat, kennt den heute 83jährigen Peter Schiffer, engagiertes Mitglied des „Sängerkreises". Er war einer der letzten Heimat-Mundartdichter der  ländlichen Voreifel.

Nach entbehrungsreicher Tätigkeit als Fahrdienstleiter auf einem der größten Bahnhöfe der Sowjetunion konnte er sich als einziger von 400 Kameraden zu den deutschen Linien durchschlagen. Im Oktober 1944 wurde er in Euskirchen erneut von der Reichsbahn eingesetzt und kann heute von sich behaupten, in  der Kreisstadt der letzte Eisenbahn-Fahrdienstleiter vor dem Einmarsch der Amerikaner gewesen zu sein.

Da er zu den wenigen Stadtbewohnern gehörte, die den Einmarsch der feindlichen Truppen miterlebte, könnte er als Chronist für diese Zeit gelten.

Peter Schiffer erinnert sich lebhaft an die Bombenangriffe auf den Euskirchener Bahnhof, der strategisch sehr wichtig war und in bezug auf die am 16. Dezember 1944 beginnende Ardennenoffensive eine Schlüsselstellung einnahm.

Ein Erlebnis hat sich ihm besonders eingeprägt.

Wenige Tage vor Weihnachten 1944 begegnete ihm während seines Nachtdienstes ein General im Bahnhofsgebäude. Dieser war für einen Transport verantwortlich, der aus V 1- und V 2-Raketen sowie Einmann-Torpedos bestand. Da es keine Verpflegungsstelle mehr gab, teilte Peter Schiffer seine Butterbrote mit ihm. So kamen die beiden Männer ins Gespräch. Der hohe Offizier war total übermüdet und machte einen frustrierten Eindruck. Nach seinen vorsichtigen Aussagen glaubte er nicht mehr an den Endsieg!

Peter Schiffer mied immer die angeblich „totsicheren" Bunker. Auf dem Euskirchener Bahnge­lände befanden sich zwei dieser Art: einer war direkt am Bahnhofsgebäude, der andere in der Betriebswerkstätte. Ersterer wurde in dem Augenblick zerstört, als der Euskirchener sich instinktiv am 2. Bahnsteig zwischen die Schienen warf. Etwa 40 deutsche und russische Eisenbahnarbeiter verloren ihr Leben. „Ein Bunker war für mich immer unheimlich, weil er selten einen zweiten Ausgang hatte!"

Andere Eisenbahner und auch Reisende gingen in den Eiskeller der Brauerei Steffens (heute Gelände der Kreissparkasse). Auch dieser erhielt einen Volltreffer.

Trotz der vielen Zerstörungen des Gleiskörpers konnten die Güterzüge fahren. Tag und Nacht wurden Reparaturen vorgenommen. Militärische Sondertrupps legten immer wieder Leitungen, um Telefongespräche und Befehle zu ermöglichen. Es ging von einem Stellwerk ins andere; die letzte Befehlsstelle sollte das Oststellwerk werden. Hier erlebte Peter Schiffer seine schlimmste Stunde:

Hier stand noch eine Holzbude zwischen dem Stellwerk und der Erftbrücke, direkt am Abhang zum Rosenthal. Ich warf die vorhandenen Ölkannen heraus und baute mir einen Ofen, der aber sehr qualmte. Den Kamin sah ich unten in der Rosenthalstraße liegen. Als im gleichen Augenblick ein Bombengeschwader herandröhnte - wie gewöhnlich etwa 30 Maschinen - sprang ich die 5 Meter herunter. Ich hätte mir eigentlich die Füße brechen müssen, zumal der Bombenkrater recht uneben war. Aber ich landete zu meinem Entsetzen auf einem russischen Fremdarbeiter, der dem pestialischen Gestank nach dort schon lange gelegen haben mußte. Die in unmittelbarer Nähe liegenden Steinzeugwerke hatten russische Kriegsgefangene als Arbeitskräfte beschäftigt.

Auch der zweite Angriff schien der Erftbrücke zu gelten. Ich sprang von Bombentrichter zu Bombentrichter. Überall spritzte die Erde hoch. Es war die reinste Hölle. Endlich kam ich bis zum Einmannbunker an den Steinzeugwerken. Links und rechts schlugen die Bomben ein. Plötzlich wurde der Bunker getroffen und flog - mit mir - etwa zehn Meter weit durch die Luft. Verwundet, aber lebend kam ich an diesem Tage nach Hause.

Am Nachmittag überbrachte mir ein Bote den Befehl, daß ich ab sofort meinen Dienst auf Block Kleinbüllesheim zu verrichten hätte. Dort habe ich bis zum Einmarsch der Amerikaner den üblichen 12stündigen Nachtdienst gemacht (etwa 25. Februar bis 4. März 1945).

Die Amerikaner rückten immer dann nach, wenn es Luftangriffe gegeben hatte. Anfang März kam doch tatsächlich der Zellenleiter in mein Haus Unitasstraße 76 und forderte die Frauen auf, am nächsten Morgen bei den letzten Häusern der Kölner Straße zu sein, da sie alle evakuiert werden sollten. Notfalls würden SA-Männer nachhelfen. Da ich aber meinen Dienst bei der Reichsbahn auszuüben hatte, wollte mich meine Frau unter keinen Umständen verlassen.

So gehörten wir zwei  zu den etwa 50 Euskirchenern, die den Einmarsch der Amerikaner in Euskirchen erlebten!

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