Ehrenbürger Paul von Hindenburg auf “Stippvisite” in der Kreisstadt Euskirchen: Der Reichspräsident kam am 11. Oktober 1930 im Sonderzug

von Hans-Dieter Arntz
(Aus: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 1986, S. 52-56)
 18.03.2007

Nur selten verirrten sich Landesherren, Präsidenten oder berühmte Persönlichkeiten  in die Eifel. Umso größer war das Interesse, wenn tatsächlich eine von ihnen – und selbst, falls es nur zur Durchfahrt oder „Stippvisite“ war –, die Voreifel oder gar Hocheifel beehrte.  Aus dieser Perspektive müssen die Besuche des Kaisers, des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, von Adolf Hitler oder in der Nachkriegszeit  des Bundeskanzlers Konrad Adenauer gewertet werden. Sie nehmen in den Chroniken dieser Region aber einen bedeutenden Stellenwert ein.

Bei der  Durchsicht meines Beitrags zum Jahrbuch 1986 des Kreises Euskirchen fragte ich mich jedoch, ob damals nicht die Bevölkerung mehr involviert war. Da heutzutage die Medien eine   fast persönliche „Nähe“ schaffen und  überall für eine stete Präsenz  der „Promis“ sorgen, ist besonders die persönliche Anwesenheit von Politikern oder Regierenden keine Sensation mehr.

Der vorliegende Beitrag beweist, dass die „Stippvisite“  des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg alle Bereiche der Euskirchener Bevölkerung aktivierte:

Trotz der  Nähe zu Köln und Bonn war es schon früher so, dass sich die Prominenz unseres Landes selten zu einem offiziellen Besuch in der Kreisstadt Euskirchen anmeldete. «Stippvi­siten« auf der Durchfahrt zu markanteren Zielen waren jedoch glorifizierte Ereignisse in un­seren Chroniken.

Die Euskirchener Presse verherrlichte u. a. fol­gende Besuche: Kaiser-Visiten in den Jahren 1877, 1884, 1906 und 1911, Reichspräsident von Hindenburgs Kurzaufenthalt im Jahre 1930 sowie die „Durchfahrt  des Reichskanzlers und Führers Adolf Hitler“ im November 1936.1) Dass Bundespräsident Theodor Heuss sich ger­ne in Bad Münstereifel niederließ, um mit Zei­chenblock und Malstift die Schönheiten der mittelalterlichen Stadt festzuhalten, oder dass Altbundeskanzler Konrad Adenauer am 17. Au­gust 1965 Ehrengast in Zülpich war, gehört zu den letzten Reminiszenzen, die mit demokrati­scher Bescheidenheit in unserer Presse abge­handelt wurden.

Durch Vermittlung des aus Euskirchen stam­menden Vizepräsidenten des Deutschen Reichstages (1926-1933), Thomas Eßer, hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg ei­ne Einladung der Kreisstadt angenommen. Dieser Besuch sollte im Juli 1930 während einer Rheinlandfahrt des Staatsoberhauptes möglich werden. Mit Freude sah man dem Gast entgegen, war doch der berühmte Generalfeld­marschall seit Oktober 1917 Ehrenbürger der Stadt Euskirchen. Noch heute wird übrigens dieser Tatsache anhand des bei der evangeli­schen Kirche gelegenen Hindenburg-Platzes gedacht! (Der Form halber sei ergänzt, dass der Platz in den 90er Jahren in Dr.- Hugo-Oster-Platz umbenannt wurde).

Doch auch der Besuch des Ehrenbürgers sollte nur den Charakter einer »Stippvisite« haben. Die Euskirchener Zeitung vom 23. 5.1930 konstatierte:

Nach Mitteilung des Herrn Reichs­kommissars für die besetzten Gebiete war im vorläufigen Reiseplan ein Aufenthalt des Son­derzuges und eine Begrüßung im Zuge für Mittwochnachmittag, d. 23. Juli, vorgesehen. Herr Reichstagsvizepräsident Thomas Eßer hat nunmehr den Herrn Reichspräsidenten per­sönlich gebeten, die Begrüßung der Stadt am Bahnhofsvorplatz, von der Freitreppe des Bahnhofs aus, entgegenzunehmen. Der Herr Reichspräsident hat diesem Vorschlage gern zugestimmt. Jedoch ist der Aufenthalt des Son­derzuges nur zehn Minuten möglich. Die Bür­gerschaft wird dem Herrn Vizepräsidenten Eßer für die freundliche Erwirkung dieses eh­renvollen Besuches herzlich dankbar sein (…)

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Selbst der nur zehnminütige Besuch des Reichspräsidenten und Ehrenbürgers Paul von Hindenburg sollte „ein Höhepunkt in der Ge­schichte der Kreisstadt“ werden. Intensive Vor­bereitungen folgten in den nächsten Wochen. Am 18. Juli 1930 gab dann das Landratsamt eine Pressekonferenz, über die das »Volks­blatt« sowie die »Euskirchener Zeitung« am Tage darauf ausgiebig berichteten. Die Leser wurden darüber informiert, dass der Reichspräsident bei seinem Rheinlandbesuch auf der Fahrt von Trier nach Aachen kurz in Euskirchen haltmache. Der Besuch gelte auch »dem ganzen Kreise Euskirchen und dem Nachbarkreise Rheinbach, von denen große Teile noch bis zum 1. Dezember vergangenen Jahres besetzt waren.

Nachdem die Stadt Eus­kirchen und einzelne andere Orte der besetz­ten Kreisgebiete den 1. Dezember 1929 gewürdi­gt und eindrucksvolle örtliche Befreiungsfeiern veranstaltet hatten, ... ist nun an eine organi­sierte Teilnahme an einer Huldigungsfeier ge­dacht.«2) Aus beiden Kreisgebieten waren Bür­germeister, Politiker, Körperschaften jeglicher Art, Fahnenabordnungen der Vereine und na­türlich die gesamte Bevölkerung eingeladen. Wer miterlebt hatte, wie man anno dazumal den Kaiser bei seiner Durchfahrt begrüßt hat­te,3) der konnte sich vorstellen, wie der Emp­fang des greisen Reichspräsidenten in Euskir­chen aussehen würde.

Am 23. Juli 1930 sollte der Sonderzug um 14.53 im Euskirchener Bahnhof einlaufen, um dann um 15.03 seine Fahrt über Düren nach Aachen fortzusetzen.

Der Zeitungsleser wurde über jedes Detail in­formiert: Begrüßungschor »Flamme empor«; Begrüßungsgedicht,  vorgetragen von  einem Schulkind unter Überreichung eines Blumen­straußes; »Hoch« und 1. Strophe des Deutsch­landliedes; Musikstück »Helenenmarsch« . . . Der Euskirchener Heimatdichter Theodor Nierwetberg hatte den Willkommensgruß ge­dichtet. Besondere Aufmerksamkeit war auf die Auf­stellung der Vereine und Honoratioren zu le­gen. Eine halbe Zeitungsseite füllte der Aufstel­lungsplan, der dem Rondell mit dem Blumen­schmuck direkt vor dem Bahnhof eine Sonderstellung zuwies. Mit etwa 100 Pressevertretern wurde gerechnet.

Doch der angekündigte Besuch fiel vorläufig aus!

Am frühen Morgen des 23. Juli, also nur weni­ge Stunden vor der geplanten Ankunft des Reichspräsidenten, wurde bekannt, dass es in der letzten Nacht in Koblenz ein schreckliches Unglück gegeben hatte, demzufolge mehr als 38 Tote zu beklagen waren. Bei der glanzvollen Feier vor der erleuchteten Festung Ehrenbreitstein am Deutschen Eck war eine überlastete Brücke eingestürzt und hatte Hunderte von Zu­schauern in die Tiefe gerissen. Der Reichsprä­sident brach sofort seine Rheinlandfahrt ab und kehrte nach Berlin zurück.

 Am 25. 9.1930 jedoch konnte das »Volksblatt« als erste Zeitung mitteilen, dass der geplante Besuch des Reichspräsidenten am 11. Oktober nachgeholt würde. Die Ausgabe vom 9. 10. 1930 stellte erneut das große Programm vor. Besonders wichtig jedoch schien der Schlusssatz des »Volksblattes« zu sein: »Erwünscht sind Gehrock und Cutaway und hoher Hut!« Die Sprache der damaligen Pressevertreter entsprach dem Stil und Geist der damaligen Zeit. Unter der Überschrift »Dem Reichspräsi­denten zum Gruße!« begründete das »Volks­blatt« am 10. 10. 1930 die Fahrt des Reichs­präsidenten von Hindenburg mit »Triumphzug, den die politische Führung des deutschen Vol­kes, das deutsche Volk in seiner Gesamtheit und das deutsche Volk am Rhein im besonde­ren veranstalten ... Die deutsche Souveränität am Rhein ist wieder hergestellt. Wir sind wieder Herren im eigenen Lande — das ist es, was durch den Besuch des Reichsoberhauptes symbolisch zum Ausdruck gebracht werden soll (…) Jetzt ernten wir die Früchte deutscher Befreiungspolitik!“

                                     
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Landratsamt des Kreises Euskirchen an der Kölner Straße im Jahre 1930

 

Nach zehnjähriger drückender Besatzungszeit nach dem 1. Weltkrieg4) stimmten alle Rhein­länder diesem Presse-Jubel aus vollem Herzen zu.

Die fast orakelhafte Schlussbemerkung des »Volksblattes« vom 10. Oktober 1930 könnte mit der Historie der folgenden Jahre verglichen werden:

Das Gefühl der rheinischen Bevölke­rung, die den Reichspräsidenten in diesen Ta­gen festlich empfängt und damit das erneute Bekenntnis der unauslöslichen Verbundenheit mit dem Reiche ablegt, ist keine Selbsttäu­schung über das eigene Los. Am Rhein ist man zukunftsgläubig. Man glaubt an geschichtliche Entwicklungen. Man kann Widerstand leisten, wo es Sinn hat (das haben die Jahre der Besat­zung bewiesen), aber man liebt nicht eine sinn­lose Trutzpolitik.

Am 11. Oktober 1930 gegen 9 Uhr morgens Iief endlich der Sonderzug des greisen Reichspräsidenten in Euskirchen ein. Nach der feierlichen Begrüßung schritt von Hindenburg über den obligatorischen roten Teppich in die Bahnhofsvorhalle. Hier wartete sein ehemaliger Bursche, Josef Krumbein aus Münstereifel, auf ihn  und wurde der Ehre zuteil, offiziell mit Handschlag begrüßt zu werden. Dem Reichspräsidenten machte es offenbar besondere Freude, seine alte Köchin, Frau Höfler aus Kreuzweingarten, wieder zu sehen. Der Eintrag in das Gästebuch der Stadt Euskirchen, das Betreten der Bahnhofstreppe unter großem Glockengeläute, das begeisterte Hurra der kaum überschaubaren Menschenmenge sowie der Gesang der Männergesangvereine können nur mosaikartig die Szenerie beschreiben.

 

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Vizepräsident Thomas Eßer war als prominentester Euskirchener dazu ausersehen, dem Reichs­präsidenten zum Abmarsch der Besatzungs­truppen zu gratulieren. „In dieses Hoch stimm­te die Bürgerschaft begeistert ein, und die 1. Strophe des Deutschlandliedes schwoll gleich einem Schwur zum herbstlichen Äther empor!“ Die Euskirchener Lokalpresse ernannte den 11. Oktober 1930 zum »nationalen Feiertag«, wenn auch der Reichspräsident die Kreisstadt nur für 30 Minuten beehrte. Zusammenfassend meinte der Volksblatt-Journalist: „Möge der Reichs­präsident von seiner weiteren Fahrt durch die Eifel und das Moselland das Treuebekenntnis des rheinischen Volkes als Ausdruck unseres Willens mitnehmen, eines Willens, der festhält an dem Glauben an Deutschlands Schicksal, an Deutschlands Aufbau.“

 

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Anmerkungen:

1.)  In Bezug auf die Kaiserbesuche in Euskirchen vgl. auch: Hans-Dieter Arntz: „ Wilhelm I., die Landesmutter und der Kronprinz kamen im Sonderzug“, in: Jahrbuch für den Kreis Euskirchen 1982, S. 14-23.
2.)  Vgl. auch hierzu meine beiden Zeitungsartikel: „Die Feuer brannten auf allen Hügeln« (1./2.12.1980) und »Zur Befreiung  Fahnen und ein Fackelzug“ vom 30.11.1980 in: Kölner Stadtanzeiger, Lokalausgabe Euskirchen
3.)  Hans-Dieter Arntz  „Raketen als Gruß für den Kaiser“, in: Kölner Stadtanzeiger, Lokalausgabe Euskirchen, v. 24./ 25. Mai 1980
4.)  Eine genaue Schilderung dieser Epoche bietet das Kapi­tel: „Die Nachkriegs- und Besatzungszeit“, in: Arntz, Hans ­Dieter   : »JUDAICA — Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983, 2. Auflage, S. 145-160

Zusätzlich gebrauchte Materialien:

Die Zeitungen »Euskirchener Volksblatt« sowie »Euskirche­ner Zeitung«, Akte Nr. III/5 im Euskirchener Stadtarchiv, Westdeutsche Blätter, Jahresausgabe 1930

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