Zur Flucht und Auswanderung der Juden im Kreis Euskirchen (1935)

von Hans-Dieter Arntz
29.11.2015

test

Das wohl zurzeit aktuellste Problem in Deutschland scheint die „Flüchtlingskrise“ zu sein, die am 24. November von der Frankfurter Allgemeinen unter der Überschrift „Flüchtlingszahl auf Höchststand“ beziffert wird. Seit Monatsbeginn sind 180.000 Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen worden!

Vor etwa 2 Monaten thematisierte ich unter historischen Aspekten den beinahe völlig unkontrollierten und bisher unbegrenzten Flüchtlingsstrom:

Das derzeitige Asylanten- und Flüchtlingsproblem (2015) und ein Hinweis auf die Konferenz von Evian (1938)

Reaktionen auf meinen Online-Artikel über Asylbewerber und Flüchtlinge (2. Oktober 2015)

Obwohl die Reaktionen sehr mehrdeutig waren, möchte ich noch einige regionalhistorische Anmerkungen zu den unzähligen Gründen der Flucht und Auswanderung bzw. Einwanderung anfügen. Die früheren Fotos (hier v. Bundesarchiv) ähneln denen der heutigen Tagespresse.

Zweifellos wurden im Dritten Reich nicht nur von jüdischer, sondern auch von nationalsozia­listischer Seite her „Werbung für die Auswanderung“ gemacht. Von dem eigentlichen Druck und der systematischen Vertreibung der Juden aus dem Deutschen Reich soll hier noch nicht die Rede sein.

Schon 1933 berichtete das „Israelitische Familienblatt" über einen informativen Vortrag in Euskir­chen, den der dortige Religionslehrer Dr. Salomon Heilberg (1871-1942) über die „Araber-Frage“ hielt. Die Zeitschrift ergänzte, dass im Anschluss an die folgende Diskussion eine „Arbeitsgruppe Palästina" gegründet wurde. Bald konnte man über weitere Aktivitäten lesen:

„Seit Juli dieses Jahres ist auch hier wieder reges Leben in der Gemeinde zu verspüren (…). Es gibt jetzt eine zionistische Jugendgruppe und die Hechaluz (Pionier-Gruppe. Es wurden viele Vorträge gehalten u.a. von Josef Schukstelish aus Tel Aviv. Rabbiner Bayer führt Sprachkurse in Hebräisch durch (…)."

Nach dem Stadtratsbeschluss von Mitte April 1935, keine weiteren Juden mehr in Euskirchen aufzunehmen, empfahl die Synagogengemeinde besonders ihren Jugendli­chen, die Zukunft realistisch zu betrachten und sich entsprechend darauf einzustellen. Der „Jewish Chronical" hielt hierzu fest:

10. Mai 1935

„Euskirchen has given only too good a reason for such an attitude the following significant resolution having been passed by the local Council:

In view of the fight which is now being carried on against the Jews and people of Jewish descendant it is certain, that they will sooner or later be reduced to unemployment or penury and will eventually fall a burden on the municipality."

Im Gegensatz zu Aachen war die jüdische Jugend des Kreises Euskirchen völlig auf Auswanderung eingestellt. Auch der neue Begriff „Umschichtung" mit all den damit verbundenen Assoziationen erweiterte ihren Sprachschatz. Der „Hechaluz", der die 17- bis 33jährigen jungen Zionisten in Deutschland 1936 in 158 Ortsgruppen mit etwa 15 000 Mitgliedern zusammenfasste und eine Berufsvorbereitung ermöglichte, wünschte:

„ (…)und man sollte junge Zionisten, die die Forderungen der Umschichtung zur körperlichen Arbeit, des Übergangs zur hebräischen Sprache und der Erlernung der staatspoliti­schen, gedanklichen und historischen Grundlagen (…) erfüllen wollen, zusammenzufassen."

test

 

Auch die allmählich bekannt werdende „Brit Chaluzim Datum", die sich als religiöse Organisation verstand, wünschte die „Umschichtung" des jungen Juden, einschließ­lich „Vertiefung und Erweiterung seines jüdischen Wissens und seiner jüdischen Lebenshaltung", um „entscheidend am kulturellen Leben in Erez Israel mitzuwirken".
 
Dies alles war der Beginn der Auswanderung und Vertreibung oder der Grund für die allmählich immer größer werdende Anzahl der Flüchtlinge. Alle hofften in Palästina oder der demokratischen Welt aufgenommen zu werden....

Abschließend weise ich auf meinen Online-Artikel Auswanderungspläne der Aachener Juden im Jahre 1935 hin, der am Ende die NS-Einschätzung der „ Jüdischen Rekordeinwanderung in Palästina“ zusammenfasst:

(…) Mit der Zahl der nach Palästina abgewanderten Juden dürfte Aachen dem Reichsdurchschnitt nahekommen. Nach den Feststellungen des Preußischen Staatspolizeiamtes sind bis zum Frühjahr 1935 rund 80.000 Juden aus Deutschland ausgewandert, so daß sich diese Zahl bis Ende September auf etwa 100.000 erhöht haben dürfte.

Das bedeutet also, dass bereits im September 1935 etwa 20 % der jüdischen Bevölkerung Deutschlands vertrieben worden war. Im Laufe der nächsten Jahre sollte sich aus bekannten Gründen die Zahl der Flüchtlinge vervielfacht haben. Wie sah es damals mit der Aufnahmebereitschaft des Auslandes aus?

Und damit bin ich wieder bei meinen beiden o.a. Online-Artikeln.

« zurück zum Seitenanfang