Jüdische Spuren zur Eifelstadt Schleiden:
Der israelische Schriftsteller Arie Efrat

von Hans-Dieter Arntz
28.07.2008

Je größer der zeitliche Abstand zur Judenverfolgung in Deutschland und dem Holocaust wird, desto mehr verlieren sich die Spuren der einst hier beheimateten jüdischen Mitbürger. Die Leser dieser regionalhistorischen Homepage werden inzwischen erkannt haben, dass dies zu verhindert auch eine Aufgabe von www.hans-dieter-arntz.de ist.

Nach intensiver Korrespondenz in den Jahren 1988-1990 begegnete ich ihm kurz danach persönlich in Bad Godesberg: dem bekannten deutschsprachigen Schriftsteller Arie Efrat aus Israel, dessen Mutter Bertha Haas verh. Ferda aus Schleiden stammte. Das Stemma dieser großen Familie stellte ich bereits unter der Überschrift „Der Untergang der jüdischen Familien in Schleiden“ in meinem Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet (S. 303 bis 323) dar. Viele Auskünfte verdanke ich dem im Kibbuz Dorot lebenden Zeugen einer turbulenten Zeit.

Von der vielköpfigen Familie Haas lebten damals nur noch zwei Angehörige. Es handelt sich um Frau Laboschin, Tochter des in Berlin geborenen Arthur Kantrowski und der aus Schleiden stammenden Frieda Haas, die beide mit ihrer weiteren Tochter Ellen (geb. 24.4.1929 in Köln) der Verfolgung zum Opfer fielen und zum 8. Mai 1945 für tot erklärt wurden. Ebenfalls in Israel lebt der Sohn von Bertha Haas verh. Ferda, Arie Efrat. Er verlor nicht nur seine aus Schleiden stammende Mutter, sondern auch seinen Vater, Arnolf Ferda (geb. 7.3. 1882 in Neu-Ütting) sowie seine Geschwister und deren anverheiratete Angehörige.

Arie Efrat gehört zu den bekannten deutschsprachigen Schriftstellern von Israel. Seine lesenswerten Bücher „Nachbarn im Negev“ (1983) und „Tratsch aus der Satteltasche“ (1990) erschienen im Bleicher Verlag, Gerlingen, und erzählen nicht nur historisch, sondern auch teilweise recht humorvoll aus dem nicht immer einfachen Zusammenleben von jüdischen Kibbuzsiedlern, arabischen Dorfbewohnern und Beduinen im Negev, dem Wüstengebiet im Süden Israels. Seine erlebten Geschichten zeigen, dass Freundschaft und gegenseitige Achtung zwischen Arabern und Juden möglich sind. Einige Leseproben sind inzwischen im Internet zugänglich.

1. Biographie von Arie Efrat

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Arie Efrat, ein israelischer Schriftsteller mit Wurzeln in der Eifel (Aus: Arie Efrat, Nachbarn im Negev“, Bleicher Verlag, Gerlingen 1983, S. 7)

Arie Efrat wurde 1918 in Elberfeld, dem heutigen Wuppertal, gebo­ren. Er pflegte einen intensiven Kontakt mit seinen vielen Verwandten in Schleiden, der jüdischen Familie Haas und deren Angehörigen. In Elberfeld wuchs er auf und besuchte die Schule, bis er 1933 als überzeugter Zionist mit seiner Familie nach Prag auswanderte. Im Herbst 1939 machte er sich mit einem »illega­len« Transport auf den Weg nach dem damaligen Palästina Nach halbjähriger Internierung durch die britische Mandatsregierung schloss er sich dem Kibbuz »Haboneh« an, der sich ein Jahr später im Süden des Landes, dem so genannten Negev (zu deutsch »Trockenland«) an­siedelte.  Arie Efrat widmete sich in verschiede­nen Funktionen der Betreuung der Beduinen und Araber in der Negev-Region und konnte zahlreiche wirt­schaftliche, soziale und kulturelle Ver­besserungen für sie erwirken. Nach seiner Pensionierung 1978 wid­mete sich Efrat verstärkt dem Schreiben.

Weiterhin war der Verfasser, dessen Mutter aus Schleiden in der Eifel stammte, hauptsächlich im arabischen Sektor der Bevölkerung tätig. Anlässlich seiner Pensionierung und zum Dank für seine langjährige zielbewusste Betreuung ließen die Beduinen seinen Namen in das »Gol­dene Buch« des jüdischen National-Fonds (K.K.L) eintragen.

Der jüdische Verfasser war der erste Vorsitzende des örtlichen Rates »Tor des Negev«, wie die Region, von der seine Bücher handeln, auch heute noch heißt. Besonders sein erstes Buch berichtet wahrheitsgemäß von den ersten Erlebnissen der Siedler in dieser Gegend. Trotzdem schien es dem Verfasser richtig, die vorkommenden  Namen teils zu verändern, teils ganz wegzulassen, wenn es sich um Entwicklun­gen handelt, die allgemein gültig sind. Nur wenn es nicht anders ging, wurden die richtigen Namen genannt. Die Namen aller arabischen Dörfer und der beduinischen Stämme wurden abgeändert.

2. Das 1983 erschienene Buch „Nachbarn im Negev“

Der Bleicher-Verlag stellte Arie Efrat erstes größeres Buch folgendermaßen vor:

Ein Kibbuz siedelt sich anfangs des Zweiten Weltkrieges am Nord­rand der Negev-Wüste an, in ei­nem Gebiet also, in dem bis dahin keine festen jüdischen Ortschaften bestanden hatten. An der Grenze zwischen - von Bauern einerseits und Beduinenstämmen anderer­seits - bewohnten Landstrichen gelegen, verstehen es die Neulin­ge, Gegensätze zwischen ihrer Lebensart und der traditionsbe­dingten ihrer Nachbarn zu über­brücken und deren Freundschaft zu gewinnen. Auch als die umlie­genden Länder den im Jahre 1948 neu gegründeten Staat Israel mit Krieg überziehen, bleiben die gu­ten Beziehungen bestehen und tragen dazu bei, dass heute über 20 Beduinenstämme im Negev leben und, mit bedeutend geho­benem Lebensstandard, nach und nach in neu gebauten Ortschaften sesshaft werden.

Auch die Freund­schaft mit den benachbarten Dorf­bewohnern überlebte die lang­jährige, durch willkürlich gezogene Grenzen verursachte Trennung und wurde, als die Schranken endlich fielen, von beiden Seiten freudig erneuert. Dieser Freundschaft hat der Autor sein Buch gewidmet.

efratArie Efrat beschreibt die ersten sechs Jahre eines Kibbuz im nördlichen Negev. Der Autor, erstes Ortsoberhaupt dieser Siedlung, führt den Leser von einem Feld, von einem Dorf, von einem Be­duinenlager, von einem Städtchen zum andern. Mit ihm lernen wir dutzende Gestalten kennen: Freunde und Feinde, Tapfere und Feige, Männer und Frauen, Alte und Kinder, Pferde und Esel. Wir erleben spannende Geschichten, ein buntes Mosaik des Negev und seiner Bevölkerung in den 40er Jahren, in dem plötzlich die Juden auftauchen.

Arie Efrat knüpft mit den Beduinen und Dörflern des Negev gute Beziehungen an: Gegenseitige Achtung ist ihre Grundlage; er kann je nach Lage nachgeben oder auf seinem Recht bestehen. Jäh wird das feine Geflecht der Beziehungen, das zwischen den einzelnen Gruppen des Negev herrschte, mit dem Ausbruch des Befreiungs­krieges 1948 zerstört. Durch die Hetze einiger fanatischer Führer verlassen viele Beduinen und Dörfler ihre Heimat.

3. Das 1990 erschienene Buch „Tratsch aus der Satteltasche“

Schon als ich Arie Efrat in der Rheinallee von Bad Godesberg traf, berichtete er stolz von seinem neuen Buch „Tratsch aus der Satteltasche“, das „Geschichten aus Kibbuz und Beduinenzelt“ beinhaltete. Prof. Dr. Josef Ginat von der Universität Haifa, der zur selben Zeit als  Zeit Direktor des israelisch-akademischen Instituts in Kairo tätig war, hatte das Vorwort geschrieben. Hier betonte er u.a.:

Das Buch Arie Efrats vermittelt uns ein umfangreiches Bild von den Ereignissen, die sich in Kibbuz und Zeltlager zutrugen und beschreibt die Beziehungen, die zwischen den zwei Volksgruppen bestanden: Die Gründung elf neuer Dörfer in einer Nacht (nach dem Versöhnungstag des Jahres 1946 — Jom Kippur 5707) und das Legen der ersten Rohrleitung in den Negev. Dies fand im Herzland des Gebietes statt, in dem die dortigen Beduinen zelteten. So ein Unternehmen muss, wenn es nicht schon auf lange Sicht angebahnt worden ist, zu schar­fen Reaktionen führen. Wenn es unmöglich ist, Aktionen wie die oben erwähnten gründlich vorzubereiten, müssen schnell die richtigen Lösungen gefunden werden. In obigem Falle und auch bei anderen Gelegenheiten fand sich Arie in solch eine Lage versetzt, doch selbst in komplizierten Situationen handelte er klug und hatte Erfolg. Das Buch bringt nur eine kurze Zusammenfassung seiner vielen und wichtigen Tätigkeiten.

Der Wahl des Buchtitels fehlt nicht eine gewisse Bedeutung: Satteltasche heißt auf Arabisch »Ghurdj«. Nur wenige Geräte spielen im Alltagsleben der Beduinen so eine große Rolle wie Satteltaschen. Es gibt bestickte, die auf den Sätteln edler Stu­ten liegen, andere, reich ausgeputzt, werden über die Höcker der Reitkamele gebreitet. Weitere sind ganz einfach aus gewöhnlichem Sackleinen angefertigt und bedecken die Reit­polster der Esel und dienen zur Beförderung von einfachen Lasten. Die Satteltasche ist für alles Mögliche zu gebrauchen: man kann in ihr geschmuggelte Waren verstauen, wenn man eine Grenze illegal überschreitet; beim Nomadisieren enthält sie persönliche Gebrauchsgegenstände. Auf Raubzügen sollte man sie mit Beute füllen, und wenn man an einem fremden Dorf vorbeireitet, versteckt man in ihr einen zufällig »gefun­denen« Gegenstand. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass man die Satteltasche auch manchmal mit auf dem Markt ein­gekauften Lebensmitteln bepackt.

Doch hat das Wort »Satteltasche« auch noch eine andere Bedeutung: Eine Redewendung der Beduinen sagt: »Steck's in die Satteltasche!« (Chut fil-churdj!)

Wenn die Beduinen im »Schick«, dem Gastzelt, um das Lagerfeuer sitzen und jemand erzählt eine ungereimte Geschichte oder erbittet etwas Unmögliches, entgegnet man ihm: »Steck's in die Satteltasche!« — ein jedem Beduinen verständlicher Spruch.

efrat3Dass sich ein jüdischer Schriftsteller, dessen genealogischen Wurzeln in der Eifel liegen, um die israelisch-arabische Freundschaft verdient gemacht hat, ist für meine regionalhistorische Homepage sicher bedeutsam. Doch Arie verstand, dass es -  um sein Leben einem Raum anzupassen, in dem zwei Völker wohnen, Juden und Araber -, von äußerster Wichtigkeit sei, beide Sprachen zu verstehen und auch die Kultur des arabischen Volkes kennen zu lernen. Deswegen hatte Arie Efrat noch vor seiner Auswanderung beide Sprachen gelernt. Das kann man nicht von allen jüdischen Flüchtlingen behaupten!

Arie Efrat erzählt in seinem zweiten Buch Geschichten aus dem Zusammenleben von jüdischen Kibbuzsiedlern, arabischen Dorfbewoh­nern und Beduinen im Negev, dem Wüstengebiet im Süden Israels. Er berichtet in seiner humorvollen Art von den Verwicklungen und Streitigkeiten, aber auch von der Freundschaft und Hilfsbereitschaft zwischen Arabern und Juden. Er schildert die andersartige Lebensweise seiner arabischen Nach­barn mit Verständnis und Achtung. Der Leser erlebt mit, wie nach man­cherlei Umwegen ein gestohlener Zaun wieder gefunden wird, und, nach ge­wonnenem Prozess, dem Dieb geschenkt wird. Er lernt Abu Kläb kennen, den »Vater der Hunde«, der Abu Ibrahim alias Arie Efrat seine Gast­freundschaft erweist; er sitzt mit einem westdeutschen Industriemanager bei einem Feinschmeckermenü nach Art der Beduinen und erlebt mit, welche Abenteuer zu bestehen waren, bis die erste Wasserleitung von den jüdischen Siedlern durch den Negev gelegt werden konnte.


Das Buch klingt aus in einem Bekenntnis zur Freundschaft und Versöhnung zwischen Arabern und Juden, zu der der Autor selbst beigetragen hat. Es ist ein Zeugnis der Menschlichkeit angesichts der Fronten von Hass und Feindschaft.

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