Fragen zum 7. März 1945 in Weilerswist

von Hans-Dieter Arntz
Quelle: Weilerswister Heimatblätter, Heft Nr. 39, S. 30-33
(Hrsg. Geschichts- und Heimatverein Weilerswist e.V., 21. Jg./Dezember 2010)
01.01.2011

Das Ende des 2. Weltkrieges wurde längst in unzähligen historischen Werken, Dokumentationen und Filmen dargestellt. Aufgrund der medialen Vielfalt, der internationalen Quellen, der wissenschaftlichen Analysen sowie der vielen Augenzeugenberichte sind der Verlauf, aber auch die vielseitigen Konsequenzen unvergessen. Selbst in der Schule werden sie, methodisch und didaktisch aufgearbeitet, an die Jugend weitergegeben.

Aber im Laufe der letzten 65 Jahre hat das Interesse an diesem historischen Ereignis nachgelassen. Auch die Impulse, die durch den Geschichtsunterricht gegeben wurden und im Elternhaus für Diskussionen und Berichte über eigene Erlebnisse eine personenbezogene Auswirkung hatten, haben sich verringert. Jetzt ist die Anzahl derjenigen, die in Weilerswist das Kriegsende bewusst erlebt haben, überschaubar geworden. In der Gemeinde leben viele Neubürger und natürlich andere Generationen, die eigentlich gar nicht nachvollziehen können, was sich en detail in ihrer Region 1945 abgespielt hat. Somit ist der Rückblick auf damalige Zeit für die Regionalhistorie weiterhin wichtig und hat dokumentarisch sowie historisch an Wert gewonnen. Die Zeitzeugen werden immer weniger, sodass auch ein diesbezügliches Archiv allmählich verschwindet. Jetzt, nach 65 Jahren, ist wohl die letzte Möglichkeit, Fragen an die Weilerswister Bürger zu richten. Sie konzentrieren sich auf zwei Bilder.

 

Fragen zum 7. März (1)

 

Grundsätzlich können „Kriegsfotos“, die 1944/45 in der Eifel und Voreifel gemacht wurden, sachlich informieren, propagandistisch und emotional aufrütteln, historisch dokumentieren oder bewusst in die Irre führen. Eine Vielzahl und Aneinanderreihung von Bildern ähneln einer Reportage, wie dies auch am Beispiel der Serie amerikanischer Kriegsberichterstatter über eine angebliche „Schlacht“ bei Weilerswist-Metternich bewiesen werden kann. Etwa 20 Fotos, die „unmittelbar vor den Toren Kölns und dem Rheinübergang“ von vier US-Reportern gemacht wurden, sollten vielleicht „heftige Kämpfe“ und den Einsatz spezieller Truppeneinheiten demonstrieren, die nicht drei Tage später zur Einnahme der bekannten Brücke von Remagen herangezogen werden konnten.

Diese amerikanischen Aufnahmen vom 5. März 1945, die ich einst im Pentagon-Armee-Archiv entdeckte und erstmals 1984 in meinem Dokumentationsband Kriegsende 1944/1945 zwischen Ardennen und Rhein publizierte, wurden als kriegsrelevante Dokumente häufig unter heimatkundlichen Aspekten diskutiert, kopiert und von Weilerswister Bürgern mit wertvollen Kommentaren versehen. Das war gut und wichtig.

Nachdem ich im Jahre 2007 dieselben Bilder im Großformat und auf Hochglanz in meinem Band KRIEGSENDE – Durch die Voreifel zum Rhein veröffentlichte, fiel mir auf, dass zwei Fotos immer noch einer weiteren Erklärung bedürfen. Sie wurden nicht wie die anderen am 5. März 1945 gemacht, als Weilerswist und Metternich eingenommen wurden, sondern von einem im Ortskern zurückgebliebenen US-Reporter, der am 6. und 7. März „private“ Bilder machte, d.h. keine militärstrategisch und heroisierende „Kriegsfotos“. Gesucht werden heute Augenzeugen, die etwas über die damalige Situation und die Menschen aussagen können.

Das erste Foto vom 6. März zeigt „einige Flüchtlinge mit ihren Habseligkeiten am Ortsrand.“ Ich vermute, dass es in der Nähe des Swister Türmchens gemacht wurde, auf der Straße nach Brühl. Aber vielleicht irre ich mich. Dennoch könnte die Ansicht richtig sein, denn der amerikanische Fotograf ist derselbe, der in unmittelbarer Nähe, am Eingang zu Brühl, einen toten deutschen Soldaten abgelichtete und mit folgender Beschreibung der Presse-Abteilung überließ: „Toter Nazi-Abfall in den Straßen von Brühl, das im Sektor der 1.US-Armee liegt.“ Die Negativnummern und die zeitlichen Aussagen lassen die Vermutung zu, dass es sich um denselben Fotografen handelt.

Weniger der Ort als das ihm wichtige Motiv bewegt mich noch heute: Menschen in einer kriegsbedingten, für sie chaotischen Umgebung. Dies ruft zur regionalhistorischen Erklärung auf. Das Bild sagt mehr aus als die Bilderserie vom Tage vorher, in der es ausschließlich um die Kämpfe um Weilerswist und Metternich ging. Vom Motiv her hätte man sie auch ganz woanders machen können. Aber hier geht es um Menschen, die von Weilerswist kommen oder dorthin zurückkehren wollen. Man bedenke, die Kämpfe haben erst vor wenigen Stunden geendet.

„Unser“ Bild zeigt interessanterweise mehr Männer als Frauen. Das ist zu diesem Zeitpunkt selten, denn Männer waren doch im Kriegseinsatz. Auch vom Alter her scheint der junge Mann mit der Schubkarre keineswegs zur kämpfenden Truppe oder zum Volkssturm gehört zu haben. Der ausgebrannte Lastwagen, die am Boden liegenden Kleiderbündel, der am Kopf bandagierte Mann, der eine Decke über den rechten Arm trägt, die erschöpft auf ihrem Koffer sitzende Frau mit ihrem typischen Kopftuch, die ratlose Mimik der Abgebildeten: all das gibt die ersten Minuten nach dem Kriegsende in Weilerswist wieder. Absolute Ratlosigkeit und Trostlosigkeit am 6. März 1945, etwa zwischen 9 Uhr morgens und vier Uhr nachmittags. Wer sind diese Menschen? Wo waren sie in den Stunden vorher? Wie haben sie „ihr“ Kriegsende erlebt? Was taten sie, nachdem das Foto von dem amerikanischen Reporter gemacht worden war?

Fragen zum 7. März (2)

Auf Seite 125 meines Buches „KRIEGSENDE – Durch die Voreifel zum Rhein“ ist das zweite Foto zu finden, das am 7. März 1945 gemacht wurde. Der „US Army Photographer“ beschreibt es folgendermaßen: „Befreiung der Sklaven und Gefangenen. Hier werden Italiener, die in Weilerswist zur Zwangsarbeit benutzt wurden, ins Hinterland gebracht.“ Die Aufnahme ist deutlich und zeigt sehr aussagestark viele noch uniformierte Männer und zwei Frauen, die im Weilerswister Ortszentrum auf ihren Abtransport warten. Es muss sich tatsächlich um das Zentrum von Weilerswist handeln, denn der mit einem Hakenkreuz versehene Mitteilungskasten wird nur an einer zentralen Stelle seine Funktion erfüllt haben. Vor 48 Stunden haben die Kämpfe aufgehört, die Zwangsarbeiter dürfen in ihre Heimat zurückkehren.

Ich stelle mir immer die Situation vor, wie es zu dem Foto kam. Die Menschen waren noch Stunden vorher Gefangene in den Terranova-Werken und hatten sich wohl zu einem besonderen Zeitpunkt auf der Hauptstraße zu versammeln. Ihre Zukunft war noch unsicher, denn wenige Kilometer weiter wurde noch erbittert um den Rheinübergang gekämpft. Der amerikanische Fotograf wird auf der Mitte der Hauptstraße gestanden haben, sicher mit einer modernen Kamera und mit gutem Filmmaterial. In der Regel erwartet man eine freundliche Reaktion auf den Zuruf „Cheese“ oder eine persönliche Reaktion. Aber das ist hier nicht der Fall. Fast alle scheinen sich zwar bewusst zu sein, dass sie gerade im Augenblick fotografiert werden, aber kein einziger lacht oder macht Anzeichen unsagbarer Erleichterung.

48 Stunden nach Kriegsende in Weilerswist. Nur noch ein einziges Fenster ist durch eine hölzerne Rollade verbarrikadiert. Keiner hat mehr die Verdunklungsjalousie herabgelassen. Von der ersten Etage eines unversehrten Haus blicken neugierig eine junge Frau und ein Kind auf das ungewohnte Treiben herunter. Wer sind sie? Vom Alter her könnten sie heute noch leben. Was haben sie beobachtet? Haben sie eventuell selber mit der klobigen „5-RM-Box“ ein eigenes Foto gemacht? Jetzt gibt es für sie mehr zu sehen als noch einige Tage vorher, als Bürgermeister Zander zum letzten Widerstand aufrief. Hier stehen nun italienische Zwangsarbeiter, fast alle ehemalige Soldaten, und warten auf die Lastwagen, die aus der Richtung Euskirchen kommen sollen.

Zwangsarbeiter waren besonders in unserer ländlichen Umgebung seit Herbst 1939 bekannt. Sie wurden im Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat verschleppt und im Deutschen Reich als billige Arbeitssklaven missbraucht. Während es sich aber meistens um „Ostarbeiter“ aus Polen oder Russland handelte, wurden auch in Weilerswist Italiener als „Zivilarbeiter“ bzw. „Militärinternierte“ kaserniert und zur Arbeit gezwungen. Es soll in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass die Italiener - nach dem Sturz von Mussolini und ihrer eigenmächtigen Unterzeichnung eines Waffenstillstands mit den Alliierten am 8. September 1943 – in Deutschland als „Verräter“ gebrandmarkt wurden.

Die deutschen Besatzer verfügten postwendend schon im Oktober 1943 eine Arbeitspflicht für Männer im besetzten Nord- und Mittelitalien und setzten sie überall im Deutschen Reich ein. So kamen auch italienische Zwangsarbeiter zu den Terranova-Werken nach Weilerswist. Ihr Leben war gefährdet, als die Amerikaner erfuhren, dass in den drei Stockwerken der Fabrik Ersatzteile der Kölner Fordwerke lagerten, die für die Wehrmacht bestimmt waren. Am 4. März 1945 brannte das Terranova-Fabrikgelände nach einigen Bombenvolltreffern total aus. Einen Tag später standen bereits amerikanische Reporter in den noch qualmenden Ruinen und fotografieren die in Richtung Metternich marschierenden Soldaten der 1. US-Armee. Jetzt, am 7. März 1945, wurden die italienischen Zwangsarbeiter abtransportiert. Für Weilerswist war der 2. Weltkrieg vorbei.

Gab es damals irgendwelche persönlichen Kontakte zu den Italienern? Gibt es zu diesem Thema weitere Informationen, die für die Regionalhistorie von Bedeutung sein können?

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